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Vom Reiz der Barren

Von Christof Schürmann, Wirtschaftswoche

Bei der Deutschen Börse können Anleger seit Kurzem Goldschuldverschreibungen kaufen. Doch wird zur Deckung wirklich Gold eingelagert?

Immer dieser Blick. Streng ist er, fast böse. Der Wärter nimmt seine Aufgabe offenbar ernst. Er bewacht zwar keinen alten Goldclaim in Klondike oder eine Mine in Südafrika, sondern nur schlicht gehaltene Räume. Die Betonwände sind Grau in Grau getüncht in dem Gebäude nicht weit entfernt von der Frankfurter City, alles andere ist geheim. Hier soll er liegen, der Goldschatz der Deutschen Börse. Die Pistolen der Wärter sind deutlich sichtbar, hängen festgezurrt am Gürtel – sind sie auch scharf geladen? Am Eingang werden erst mal die Personalausweise konfisziert, landen hinter einem glasgesicherten Tresen. Durch das hinterste Fenster scheint Tageslicht, das letzte für die nächsten eineinhalb Stunden. Im Aufzug geht es nach oben. Nach oben? Gold, so stellt man sich vor, lagert doch sicher im Keller.
Um Anlegern das Gefühl zu geben, sie besäßen echtes Gold, hat die Deutsche Börse vor zwei Monaten eine mit physisch vorhandenem Gold gedeckte Schuldverschreibung aufgelegt. Ein Schuldpapier verbrieft einen Lieferanspruch auf ein Gramm Gold. Wer will, kann die Papiere an der Börse handeln – und sich auf Wunsch das Edelmetall auch nach Hause bringen lassen. Mal was anderes: Gold-Paketdienst statt Pizza-Taxi. Aber gibt es das Gold überhaupt? Die unter Gold-Fans reichlich vertretenen Verschwörungstheoretiker behaupten, Schuldverschreibungen wie die der Deutschen Börse seien nichts wert, da gar kein Gold als Sicherheit eingelagert werde. Steffen Orben grinst. "Schauen wir mal nach", sagt Orben, neben Martina Gruber Geschäftsführer der unter anderem für Gold-Produkte frisch gegründeten Börsentochter Deutsche Börse Commodities.

Im Aufzug ist es verdammt eng. Nur eine Handvoll Personen darf rein – und nur unter dem strengen Blick wenigstens eines Wärters. Ausstieg, warten, nach einem kleinen, engen Gang geht es in den nächsten Aufzug. Wie hoch sind wir gefahren? Wie tief geht es jetzt hinunter? Ratternd öffnet sich die Fahrstuhltür. Tür eins hinter uns – zu – dann öffnet sich vor uns Tür zwei. Noch ein Fahrstuhl, der dritte, bringt uns hinunter. Nach einem Labyrinth von Gängen, endlich, stehen wir davor: der Tresorraum. Eine tonnenschwere Panzertür geht auf.
Wie schwer ist die? "Schwerer als ein Auto jedenfalls", mehr will der Wächter nicht verraten. Der Boden klebt. An allen Seiten ist Beton, beleuchtet von unangenehmen grellen Neonröhren. Wo sind wir? Noch im Gebäude, tief unten? Unterhalb einer Straße, vielleicht schon weit weg vom Eingang? Keine Ahnung. Der Weg ist zu verwirrend. Auskunft gibt es nicht, Handynavigation ist verboten. Der Keller ist nichts für Menschen mit Klaustrophobie. "Wir hatten schon einige Versetzungen von Mitarbeitern, die hier nicht stundenlang arbeiten konnten", bemerkt ein bisher stiller Begleiter, Oberwächter wohl. Er trägt keine Pistole, jedenfalls ist keine sichtbar.
Schuldverschreibungen für rund 38 Millionen Euro, der Gegenwert von 1,9 Tonnen Gold, hat die Deutsche Börse bis zum Tag der Tresorbesichtigung verkauft. Nach und nach lässt sie das Edelmetall über einen Partner, die Materialtechnik-Gruppe Umicore, aus London einfliegen. "Sobald 500 Kilo verkauft sind, fordern wir das Gold an", erklärt Martina Gruber. 1,5 Tonnen Gold müssten sich also im Tresor befinden – zur nächsten Anforderung fehlen ja noch 100 Kilo.
Die Tür öffnet sich, der Besucher ist enttäuscht. Ein großer Raum, darin ein mickriger Turm von Barren. Das sollen 1,5 Tonnen sein? "Die nächste Lieferung kommt morgen, heute war das technisch wegen Ihres Besuchs nicht möglich", sagt Martina Gruber. Mal durchzählen: 40 Barren à 12,5 Kilo liegen auf einer schlichten Euro-Palette. Macht eine halbe Tonne. Ansonsten gibt es nur noch ein paar Showbarren, zu Demonstrationszwecken, in einem Regal säuberlich aufgereiht: 100 Gramm, eine Unze, ein Gramm. Haben die Verschwörungstheoretiker doch Recht, gibt es nicht genug Börsen-Gold? "Wir werden jeden über die verkauften Schuldverschreibungen entstandenen Goldanspruch hinterlegen", versichert Geschäftsführer Orben, etwas irritiert ob der nochmaligen Nachfrage.

Ein Barren kommt auf die Waage und hält, was er verspricht: 12 503 Gramm und ein paar kleine. Misstrauische Blicke begleiten das Abwiegen – mit den Wärtern ist wirklich nicht zu spaßen. Immerhin etwa 250 000 Euro ist ein einzelner Barren wert. Könnte ein Besucher nicht wenigstens einen 100-Gramm-Barren mitgehen lassen? Drei davon passen in eine Zigarettenschachtel. Zigaretten raus, Barren rein – der Wert der Schachtel würde um das 1 500-Fache steigen, von vier auf 6 000 Euro. Der Reiz des Barrens liegt in dem im Vergleich zu seiner Größe exorbitant hohen Wert.
Einen Versuch wäre es schon wert, würde nicht vor dem Tresor eine Schleuse stehen. Beim Auschecken muss alles Metall aus den Taschen, sonst piept’s. Wie am Flughafen wird Schmugglern die Laune verdorben. Ein rotes Lämpchen leuchtet auf, doch ist es – ach – nur die Gürtelschnalle. Simples Metall, Materialwert vielleicht fünf Euro. Eine Gold-Schuldverschreibung gibt es zurzeit für 20 Euro. Wer kauft, muss aber nicht nur auf Gold vertrauen. Sondern auch darauf, dass die Deutsche Bank als Partnerin der Deutschen Börse im Handel auch wirklich dauerhaft faire Preise stellt. Und dass sie nicht pleitegeht. Anderenfalls bliebe der Blick auf das echte Börsen-Gold nicht mehr als eine schöne Erinnerung. An Gold, das man in den Händen halten könnte, aber am Ende womöglich doch nicht geliefert bekäme – trotz Anspruch. Denn die Goldschuldverschreibungen versprechen eben kein Eigentum, sondern nur mittelbaren Besitz.

Quelle: Wirtschaftswoche