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Wie viel heiße Luft muss noch raus?

Zwei Wochen sind vergangen nach Verfassen meines jüngsten Artikels, in dem ich mich mit der Instabilität des europäischen Finanzsystems beschäftigt hatte. Dem auf dem Fuße folgenden, so schnell und heftig nicht erwarteten "Fast-Zusammenbruch" konnte ich nur aus der südlichen Ferne mitverfolgen.

Die arabischen Ölförder-Emirate liegen im schweren Dunst abgefackelten Öls, das nicht abgenommen wird. Vor Rotterdam liegt eine große Menge an Öl-Tankern, deren Ladung nicht gelöscht werden kann, weil die Lager voll sind. Und der Irak produziert am Limit seiner Möglichkeiten. Ich komme darauf zurück.

Die mittlerweile in Europa geschnürten Rettungspakete für die Finanzindustrie übersteigen das Volumen des amerikanischen TARP-Programms um Längen. Allein in Deutschland sollen Mittel bereit gestellt werden, die an dessen Volumen heran reichen. Und dabei kommt das deutsche BIP lediglich auf rund ein Drittel des US-amerikanischen. Dies legt nahe, dass die Finanz-Probleme in Europa wohl noch größer sind als in den USA. Und untermauert, nebenbei gesagt, die relative Stärke des Greenback gegen "unseren" Brüsseler Bürokraten-Euro.

Die Assets des deutschen Bankensystems belaufen sich fast 8 Bill. Euro. Wenn die Kreditmärkte weiter aus dem Ruder laufen und eine Rezession Formen annimmt, ist es gut möglich, dass die vorgesehen Rettungsmittel von bis zu 500 Mrd. Euro nicht reichen werden, um Bank-Insolvenzen zu verhindern. Diese 6,25 Prozent an Hilfsmitteln, bezogen auf die Assets, sind nicht viel, wenn man sich die weiter unten angestellten Überlegungen zur "heißen Buchwert-Luft" anschaut. Der Anteil des deutschen am globalen BIP liegt bei gut sieben Prozent.

Nachdem man in Europa lange glauben wollte, dass man sich von den USA abkoppeln könne, werden nun alle von der Wirklichkeit eingeholt. Allerorten ist jetzt von Null-Wachstum bis leichter Rezession die Rede. Meiner Meinung nach ist das so wenig zutreffend wie die völlig überzogenen Wachstumsprognosen noch aus der ersten Jahreshälfte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die sich als Wirtschaftsweise oder sonst als kompetent in den Medien produzieren, wirklich an das glauben, was sie sagen.

Nouriel Roubini, einer der wenigen Volkswirte, die die eingetretene Entwicklung richtig vorhergesagt haben, sagte vor einigen Tagen in einem Interview mit Bloomberg: "Wir werden von der Schwere der Rezession und dem Volumen der Finanzverluste überrascht." Er geht davon aus, dass die Rezession 18 bis 24 Monate dauern wird. In deren Verlauf wird die US-Arbeitslosenquote von jetzt 6,1 auf neun Prozent steigen. Die Hauspreise in den USA werden um weitere 15 Prozent fallen - per Juli sind sie im Vergleich zum Vorjahr schon um 16 Prozent gesunken. Und die Verluste der US-Finanzindustrie werden näher bei drei Bill. Dollar als bei seiner ursprünglichen Schätzung von eins bis zwei Bill. Dollar liegen, sagte er.

Der IWF geht in seiner jüngsten Schätzung von Verlusten des US-Bankensektors in Höhe 1,4 Bill. Dollar aus. Bisher sind 637 Mrd. Dollar berichtet worden. Im März hatte der IWF die Verluste weltweit auf eins bis zwei Bill. Dollar prognostiziert - und hatte dafür Prügel bezogen (auch aus Deutschland).

In der historischen Dimension müssen wir zunächst zumindest die Rückabwicklung der Exzesse der Finanzindustrie seit 2000/2001 durchstehen. Dahinter aber steht -als "Option"- die Rückabwicklung der gesamten Geschichte seit 1970, dem Ende des Goldstandards von Bretton Woods, mit allen von der Dominanz der Finanzindustrie hervorgebrachten Erscheinungen - dem neoliberalen Laissez-faire, der Selbstentmachtung und Willfährigkeit der Nationalstaaten der Finanzindustrie gegenüber, der Globalisierung insgesamt. Ob es so weit kommt oder wie weit es auf diesem Wege geht - keine Ahnung. Aber es ist eine Möglichkeit, die Chaos, aber auch neue Chancen birgt. Ob in diesem Zusammenhang auch die wirtschaftliche und politische Dominanz der USA unter die Räder kommt, wie mancher EU-Brüssel-zentrierter Beobachter glaubt, bzw. hofft, steht auf einem anderen Blatt.

Um welche Größenordnung der Exzesse seit 2000/2001 handelt es sich? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Auch hier geht es wieder um den "deleveraging process". Nähern wir uns von "oben" her an: Das Volumen der weltweit ausstehenden Derivate hat sich innerhalb der zurückliegenden sechs Jahre auf 500 Bill. Dollar versechsfacht. Es macht das Zehnfache des globalen BIPs und das fünffache der Bond- und Aktienmärkte zusammen aus. Eine Rezession mit einem negativen Wachstum von nur einem Prozent würde "verlangen", dass das Derivate-Volumen um 5 Bill. Dollar schrumpfen muss. Legt man die Annahme zugrunde, dass die Märkte für Aktien und Bonds im Zuge einer Rezession zusammen um zehn Prozent kontrahieren, wären schon 50 Bill. Dollar zu veranschlagen. Dabei ist noch unterstellt, dass die genannten "Hebel" so bestehen bleiben können, was unrealistisch ist. Eine Reduktion der Hebel um jeweils nur 10 Prozent würde schon einen Rahmen zwischen 54,5 und 95 Bill. Dollar an "heißer Buchwert-Luft" aufspannen, die sich im Wirtschaftssystem unserer Tage angesammelt hat. Natürlich ist die Herleitung hier sehr spekulativ - ich möchte auch nur die Größenordnungen zeigen und damit ein Gefühl für die noch ausstehenden Risiken und Turbulenzen entwickeln.

An der Inflationsfront zeigt sich jetzt schon deutlicher, dass die Spitze hinter uns liegt. Hier wirken sich die fallenden Ölpreise, aber z.B. auch die schwachen Einzelhandelsdaten in den USA (und auch hier) aus. Die Konsumenten schnallen den Gürtel enger, die Unternehmen verlieren Preismacht.

Das lässt sich auch in der Entwicklung des Goldpreises ablesen, der es selbst in den Zeiten des zurückliegenden überschäumenden Turbulenzen nicht schaffte, sich nachhaltig über der Widerstandszone zwischen 870 und 900 Dollar zu etablieren. Mittlerweile ist er unter die psychologisch wichtige Marke von 800 gerutscht. Natürlich wirkt der festere Dollar belastend, aber das ist ja gerade auch ein Zeichen, dass die weltgrößte Volkswirtschaft nicht in Hyperinflation versinkt. Bemerkenswert auch, dass die "sichere Hafen"-Funktion von Gold bisher keine Abkopplung vom Währungspaar Euro/Dollar bewirken kann.

Inflation oder Deflation? Der "deleveraging process" wirkt prinzipiell deflationär, betrifft aber zunächst nur die Assets im Finanzbereich. Doch diese Phase liegt hinter uns - der Effekt ist insbesondere in den USA über Krediteinschränkung, sinkende Hauspreise, steigende Arbeitslosigkeit und andere, die kaufkräftige Nachfrage betreffende Faktoren längst in die Realwirtschaft übergeschwappt, wo er sich (mit Zeitverzögerung) ausbreitet. Andererseits wirken staatliche Geldspritzen auf jeden Fall dann inflationär, wenn sie als "nicht rückzahlbare Zuschüsse" ausgestaltet werden. Liquiditätsinjektionen durch die Zentralbanken wirken hingegen so lange nicht (dauerhaft) inflationär, so lange sie über Kreditkonstruktionen laufen. Aber diese Effekte bleiben zunächst ebenfalls auf den Finanzbereich beschränkt. Und wenn die für die Banken bereitgestellte Liquidität diesen Bereich nicht verlässt (etwa durch Ausweitung der Kreditvergabe), bleibt das auch so.

Meiner Meinung nach stehen wir am Beginn einer deflationären Phase. Wie weit es dabei mit der Cash-Präferenz geht, wird man noch sehen. Auch unter dem historischen Aspekt einer Rückabwicklung zumindest der jüngsten Exzesse der Finanzindustrie wäre es unter zyklischen Gesichtspunkten folgerichtig, wenn einer inflationären Phase eine deflationäre folgt. Ich hatte vor längerem schon eine analoge, zugegeben mechanische Überlegung hinsichtlich der Perspektive des Greenback angestellt, die sich bis jetzt umgesetzt hat.

Eine deflationäre Tendenz in Zusammenhang mit einer Rezession (wenn nicht Depression) wäre auch eine schlechte Botschaft für die Aktienmärkte. Erstens sinkt der Bedarf einer Anlage in Sachwerten zur Absicherung gegen Geldentwertung, zweitens leidet die Gewinnentwicklung der Unternehmen unter der nachlassenden kaufkräftigen Nachfrage der Konsumenten. Abgesehen von eventuellen Bärenmarktrallyes ist es meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit, dass der S&P 500 seine Tiefs aus 2002/2003 testet. Und dafür, dass er diesen Test besteht, lege ich meine Hand nicht ins Feuer. Unter diesem Aspekt liegt auch für den DAX nahe, dass er das Niveau aus der Anfangsphase des zurückliegenden Bull-Runs auf seinen Bestand hin testet. Das muss nicht gleich morgen sein - wir stehen erst am Anfang einer rezessiven Entwicklung.

Der Verlauf des die implizite Volatilität des S&P 500 messenden VIX ist imposant. In den vergangenen Tagen stellte er Allzeit-Rekorde in Folge auf. Gestern stieg er intraday bis über 81 und schloss nur geringfügig unter den Schlussnotierungen vom 10. und 15. Oktober bei knapp 70. Aus der Entwicklung der Breite des kurzfristigen Bollingerbandes lässt sich ein Maß für Angst bis Gier entwickeln. Dieses erreicht am 10. Oktober ein absolutes Panik-Extrem. Gemessen hieran dürfte die Unterseite bei den Aktienkursen jetzt zunächst einmal abgesichert sein. Siehe Chart im Rahmen dieses Artikels auf der Web-Seite der TimePattern.

Auch wenn von bullischer Seite jetzt verstärkt argumentiert wird, eine Rezession sei auf dem aktuellen Kursniveau eingepreist und im Übrigen sei das Ganze auch nur eine (scharfe) Korrektur mit großen Kaufchancen - der Spruch "kaufen, wenn die Kanonen donnern" mag zehn mal stimmen, dafür, dass das auch beim elften Mal so ist, gibt es keine Garantie. Insbesondere dann nicht, wenn die Kanonen gar nicht mehr aufhören, zu donnern ... Und genau darum geht es: Der Kondratieff-"Winter" entwickelt sich.

Zurück zu den eingangs gemachten Bemerkungen zum Öl: Momentan wird spekulativ in die Abwärts-Richtung übertrieben. "Spekulativ" meint dabei nicht nur die Ausrichtung auf den Finanzmärkten. Nein, es herrscht zurzeit auch ein stoffliches Überangebot. Biedes drückt die Preise. Allerdings dürfte sich das Abwärtspotenzial nun allmählich erschöpfen, mag sein, dass noch der Bereich um 63 Dollar (Brent) angesteuert wird. In der kommenden Woche trifft sich die OPEC zur Krisensitzung, das wird nicht ohne Auswirkung bleiben. Möglicherweise dient eine Stabilisierung des Ölpreises bullisch eingestellten Akteuren als Grundlage für eine "es wird schon wieder"-Argumentation.

© Klaus G. Singer

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: www.timepatternanalysis.de /goldseiten.de