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Warum Steinbrück keinen Notfallplan hat
20. Juli 2008

In Deutschland geht die Angst vor einer Rezession um. Auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück räumt ein, dass die Situation „beunruhigend" sei. Im Interview mit WELT ONLINE spricht er über den drohenden wirtschaftlichen Abschwung. Und erklärt, warum Deutschland dafür erst gar keinen Notfallplan hat.

WELT ONLINE: Herr Steinbrück, die Finanzkrise macht wieder Schlagzeilen. Können Sie noch guten Gewissens in den Urlaub fahren?
Peer Steinbrück: Die Situation ist in der Tat beunruhigend. Aber ich habe das ganze Jahr schon gesagt: Wir sind da noch längst nicht raus. Allerdings hat das Krisenmanagement bisher in vielen Fällen gut funktioniert. Und wir sind auf internationaler Ebene auch deutlich vorangekommen mit vorbeugenden Maßnahmen, die künftige Krisen verhindern sollen.
WELT ONLINE: Reichen die schon aus?
Steinbrück: Was wir erleben, widerlegt all die Leute, die sagen, der Markt wird es schon richten. Pustekuchen! Der Markt sorgt in diesem Fall für Exzesse und dann für eine gigantische Vernichtung von Vermögen. Wir werden die vorgeschlagenen Regularien ehrgeizig umsetzen müssen, um zum Beispiel die Transparenz der Finanzmärkte und Liquiditätsstandards zu erhöhen.
WELT ONLINE: Vor allem die Amerikaner wollten zu Beginn der Finanzkrise wenig von neuen Spielregeln hören. Hat sich das geändert?
Steinbrück: Auf amerikanischer Seite ist ein erstaunlicher Stimmungswandel festzustellen, auch bei Managern. Mein US-Amtskollege Hank Paulson hatte im April die G-7-Finanzminister zu einem Treffen mit einigen Firmenchefs von der Wall Street eingeladen. Und wofür haben die argumentiert? Für mehr Regulierung! Früher war "RegulierunG“ für die ein Schimpfwort.
WELT ONLINE: Aktuell reagiert die US-Politik aber vor allem mit milliardenschweren Feuerwehraktionen zugunsten angeschlagener Finanzinstitute. Wären Sie dazu auch bereit, wenn es ganz dick kommen sollte?
Steinbrück: In Großbritannien ist die Bank Northern Rock verstaatlicht worden, in den USA de facto Bear Stearns. Da sind die Angelsachsen sehr pragmatisch, die machen das, wenn die Situation es verlangt. Aber stellen Sie sich einmal das Gezeter in Deutschland vor, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister eine Bank verstaatlichen würde!
WELT ONLINE: Würden Sie sich etwa aus Angst vor dem Gezeter abhalten lassen?
Steinbrück: So etwas kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Ganz pragmatisch. Jedenfalls habe ich grundsätzlich kein Interesse, eine klassische Bank in der Bilanz des Bundes stehen zu haben.
WELT ONLINE: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gerade die Zinsen erhöht – und so signalisiert, dass sie sich um die Preisstabilität mehr Sorgen macht als um die Konjunktur. Ist das noch der richtige Kurs?
Steinbrück: Ich habe meine Erfahrungen mit Kommentaren zur Zinspolitik der EZB gemacht...
WELT ONLINE: ... wie kürzlich noch
Steinbrück: ... als ich mich sehr vorsichtig äußerte, und selbst da hat es Missverständnisse gegeben. Ich habe darauf hingewiesen, die EZB habe zu bedenken, dass Zinserhöhungen angesichts der bestehenden Konjunkturrisiken eben auch sehr ambivalente Effekte haben können – mehr nicht. Eine Selbstverständlichkeit.
WELT ONLINE: Droht Deutschland eine Rezession?
Steinbrück: Wir sind nicht in einer Situation, in der wir schon wieder Krisenszenarien entwickeln müssen, die ja leicht auch eine sich selbst bestätigende Wirkung entfalten können. Die deutsche Wirtschaft ist sehr viel robuster als vor drei oder vier Jahren, und sie ist auch besser aufgestellt als zum Beispiel die amerikanische. Es ist möglich, dass die konservativen Wachstumsprognosen für 2008 knapp übertroffen werden. Und für 2009 ist natürlich eine Abschwächung zu erwarten. Aber bitte nicht gleich wieder die typisch deutsche Beschwörung einer Rezession. Wir haben allen Anlass, die Menschen nicht zu verunsichern.
WELT ONLINE: Um Verunsicherungen zu verhindern, könnten Sie finanzpolitische Gegenmaßnahmen vorbereiten für den Fall, dass die Konjunktur doch kräftig herunterrauscht.
Steinbrück: Das ist es doch gerade. Warum sollten wir denn die Krise herbeireden? Wir lösen die Probleme dann, wenn sie da sind. Wer immer über Notfallpläne redet, der redet genau diese Notfälle herbei. Daran habe ich kein Interesse. Deswegen gibt es bei uns auch keinen Notfallplan.
WELT ONLINE: Nicht nur in der Union, auch in immer mehr SPD-Landesverbänden wird der Ruf nach Wiedereinführung der Pendlerpauschale immer lauter. Wie lange wollen Sie sich dem Druck noch entgegenstellen?
Steinbrück: Es nützt nichts, die Pendlerpauschale als Trostpflaster für die Entwicklung der Energiepreise wieder einzuführen. Dann bekommt man –¿wenn überhaupt¿– 14 Tage lang Beifall vom Publikum, und danach hat man dieselbe Situation wie vorher. Denn das Problem eines weltweiten Nachfragedrucks mit entsprechenden Preissteigerungen löst sich ja nicht in Luft auf. Die meisten Arbeitnehmer sind von der Abschaffung der Pendlerpauschale gar nicht betroffen. Denen hilft dann wohl auch die Wiedereinführung nicht. Beim Großteil des Rests geht es um eine durchschnittliche Belastung von circa zwölf Euro im Monat. Und damit wollen Sie das Problem steigender Energiepreise lösen? Das ist doch Volksverdummung.
WELT ONLINE: In der Diskussion sind noch eine Reihe anderer Möglichkeiten, den Energieverbrauchern etwas von der Last steigender Preise zu nehmen –¿Energiesozialtarife zum Beispiel oder eine Senkung der Besteuerung des Energiekonsums. Ist irgendetwas davon sinnvoll?
Steinbrück: Wenn ich bei einem Ölpreis von 140 Dollar je Fass anfange, den Energiekonsum zu subventionieren, was mache ich dann bei 150 Dollar oder bei 160? Nehme ich dann zweistellige Milliarden¿beträge in die Hand, zulasten von Ausgaben für Bildung oder Infrastruktur? Wir werden nicht darum herumkommen, sparsamer mit Energie umzugehen. Jede kurzfristige Antwort auf diese langfristige Herausforderung ist unzureichend. Die Politik muss hier Kontinuität zeigen und einen einmal als richtig erkannten Kurs durchhalten.
WELT ONLINE: Das Verfassungsgericht zwingt Sie, die steuerliche Absetzbarkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu verbessern. Sie haben nun angekündigt, die entstehenden Kosten zum Teil „bei den oberen Einkommen wieder hereinholen“ zu wollen. Was genau kommt auf die Gutverdiener zu?
Steinbrück: Es war zu lesen, „die Reichen sollen gemolken werden“. Das ist doch blanker Unsinn. Es geht darum, dass die Bürger in den unteren und mittleren Einkommenskategorien mehr profitieren sollen. Und dass die Gegenfinanzierung oben ansetzt. Das führt dort zu geringerer Entlastung – aber doch nicht zur Belastung.
WELT ONLINE: Die Koalition hat sich auf einen Kompromiss zum Mindestlohn geeinigt. Ist die Debatte damit beendet?
Steinbrück: Das Ergebnis ist ein Fortschritt und Erfolg. Aber ich vermute, dass SPD und Union bei dieser Frage zur Bundestagswahl in einen Wettbewerb gehen. Die SPD wird über die jetzige Lösung hinaus eine Position beziehen, der wahrscheinlich von der Union widersprochen wird.
WELT ONLINE: Der Familienkonzern Schaeffler hat sich heimlich an den Dax-Konzern Continental heranpirschen können und sich mithilfe von Banken einen großen Teil der Stimmrechte gesichert. Sind Unternehmen gut genug vor Übernahmen geschützt?
Steinbrück: Das ist doch die knallharte Marktwirtschaft, für die Sie sich in Ihren Kommentaren immer einsetzen! Der Staat soll sich immer schön raushalten, aber wenn die Luft eisenhaltig wird, richten auch die großen Marktradikalen den Blick auf die Politik. Es ist wichtig, mehr Transparenz zu schaffen für Arbeitnehmer und Anteilseigner. Deshalb haben wir das Risiko-begrenzungsgesetz beschlossen, das die Offenlegung von Beteiligungsverhältnissen erzwingt. Wir werden damit vielleicht nicht jedes verborgene Übernahmemanöver verhindern. Doch wir sorgen dafür, dass alle dieselben Informationen besitzen.
WELT ONLINE: Werden Sie nun prüfen, ob das Gesetz streng genug ist?
Steinbrück: Nein, ich kann doch nicht ein Gesetz wegen eines Einzelfalles ändern.
WELT ONLINE: Sie haben sich für die Fortsetzung der großen Koalition ausgesprochen. Können Sie Parteifreunde verstehen, die sich anderes wünschen?
Steinbrück: Für wünschenswert halte ich eine absolute Mehrheit der SPD.
WELT ONLINE: Mit Kurt Beck als Bundeskanzler?
Steinbrück: Das halte ich auch für wünschenswert, wenn er als Parteivorsitzender die Kandidatur so entscheidet.
WELT ONLINE: Wirklich?
Steinbrück: Ja. Dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD ist es aber erlaubt, zwischen Wunsch und realistischen Optionen für eine Regierungsbildung zu unterscheiden.
WELT ONLINE: Wofür steht eigentlich die SPD: Für die Agenda 2010? Oder für deren Abwicklung?
Steinbrück: Die Agenda 2010 hat die SPD im Kopf gelernt, aber im Bauch immer noch nicht akzeptiert. Globalisierung, die demografische Entwicklung und eine irrsinnige Staatsverschuldung führen jedoch dazu, dass sich die SPD auf das 21. Jahrhundert einstellen muss. Die Agenda war daher eine richtige Teilantwort. Daneben muss die SPD sich fragen: Wie halten wir diese Gesellschaft zusammen?
WELT ONLINE: Wie lautet die Antwort?
Steinbrück: Die SPD muss zwei Kernanliegen haben: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands sicherstellen, damit wir in der Champions League weiter mitspielen können. Daneben muss sie für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen, sich also um die Bedürftigen kümmern. Eine Brücke zwischen diesen Aufgaben bilden drei Faktoren: Bildung, Bildung, Bildung.
WELT ONLINE: Redet bei all dem Stillstand überhaupt noch jemand von Reformen?
Steinbrück: Ich teile Ihre Stillstands-These nicht. Wir haben in diesem Jahr eine Unternehmenssteuerreform gemacht, wir führen die Abgeltungsteuer ein. Würde in Bayern nicht gewählt, könnten wir jetzt schon die Erbschaftsteuer reformieren. Die Schuldenbremse kommt mit der Föderalismus¿reform, und wir haben Mindestlöhne durchgesetzt. Das ist doch nicht so schlecht, oder?
WELT ONLINE: Warum krebst die SPD dann in Umfragen bei kaum mehr als 20 Prozent?
WELT ONLINE: Warum krebst die SPD dann in Umfragen bei kaum mehr als 20 Prozent?
Steinbrück: Weil wir unsere Erfolge zu leise verkaufen. Wenn wir uns selbst nichts zutrauen: Wie sollen uns andere Leute vertrauen?
WELT ONLINE: Wann beginnt der Wahlkampf?
Steinbrück: Noch lange nicht. Ein knackiger Wahlkampf, acht Wochen lang – das reicht vollkommen.
WELT ONLINE: Und wann wird die Frage der Kanzlerkandidatur entschieden?
Steinbrück: Wir sollten den Kanzlerkandidaten nicht zwölf oder 15 Monate vor der Wahl ausrufen. Ich habe meine Erfahrung damit in den Jahren 1985 bis 1987 gemacht, als ich für Johannes Rau gearbeitet habe. Rau wurde nach einer grandios gewonnenen Landtagswahl im Herbst 1985 zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Dann hat sich die ganze Artillerie aus politischen Gegnern und Medien 15 Monate lang auf ihn gerichtet. Und am Ende ging die Luft aus.
WELT ONLINE: Damals kam hinzu, dass es eine Rivalität gab zwischen dem Kandidaten Rau und dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt. Fürchten Sie für 2009 eine ähnliche Konkurrenz zwischen den Personen auf diesen Posten?
Steinbrück: Aus dieser damals sehr schwierigen Situation muss die SPD lernen.
WELT ONLINE: Wünschen Sie sich Gerhard Schröder als Zugpferd im Wahlkampf?
Steinbrück: Ich glaube, dass wir Gerhard Schröder überzeugen können, im Wahlkampf mitzumachen. Da er ein glänzender Wahlkämpfer ist, stünde das der SPD gut zu Gesicht.
WELT ONLINE: Und Ihr Freund Wolfgang Clement?
Steinbrück: Ich glaube nicht, dass Wolfgang Clement an unserem Wahlkampf teilnehmen möchte.
WELT ONLINE: Pflegen Sie weiterhin Ihre Freundschaft mit Clement?
Steinbrück: Ja. Freundschaften kann und sollte man über Meinungsverschiedenheiten hinweg pflegen.
WELT ONLINE: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat kürzlich gesagt, er betrachte sich nicht als politisches Alphatier. Verstehen Sie sich als politisches Alphatier?
Steinbrück: Das sollte man nicht selber einschätzen. Das wirkt entweder eitel oder tiefstapelnd. Die private und politische Umgebung kann das viel besser beurteilen. Als Minister müssen Sie jedenfalls eine Gruppe von Menschen um sich herum haben, die Ihnen die Meinung sagt. Sonst landen Sie unter einer Käseglocke und ersticken.
WELT ONLINE: Stichwort Käseglocke: Haben Sie einen Bezug zum Alltag der Bürger?
Steinbrück: Ein Minister lebt viel normaler, als Sie glauben: Ich kaufe ein, fahre Fahrrad, gehe in Buchhandlungen, auf den Markt, in eine Kneipe. Alles ganz normal. Menschen sprechen mich an, und ich rede mit ihnen.
WELT ONLINE: Was kostet denn ein halbes Pfund Butter?
Steinbrück: Ich kaufe Margarine, die hat weniger Cholesterin, und die kostet in meinem Berliner Supermarkt so zwischen 0,99 Euro und 1,09 Euro.

Quelle: http://www.welt.de