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Inflation: Fehlanzeige!

von Konrad Hummler
Der starke Anstieg der Rohstoffpreise wird mit einer allgemeinen Geldentwertung verwechselt. Jetzt hektisch zu reagieren, macht die Lage nur noch schwieriger. Denn wir haben kein Inflationsproblem, wir haben ein Wachstumsproblem. Ein Essay.

Die Erdöl- und Nahrungsmittelpreise eilen von Höchstmarke zu Höchstmarke, gleichzeitig erodieren die Häuserpreise in den USA und in Großbritannien. Die europäische Exportwirtschaft erfreute sich bis vor kurzem voller Auftragsbücher, doch die internationalen Großbanken schlottern vor der Ankündigung ihrer Halbjahresresultate. Haben wir es nun mit einer Inflation, einer Konjunkturabschwächung oder gar mit Stagflation zu tun, also Inflation in Verbindung mit einer Rezession?
Versuchen wir erst einmal, begrifflich Ordnung zu schaffen. Preisveränderungen, auch wenn sie als Verteuerung von Gütern oder ganzer Gütergruppen happig ausfallen, müssen nichts mit Inflation zu tun haben. Inflation bedeutet eine allgemeine Tieferbewertung des Geldes gegenüber sämtlichen Gütern. Sie hat ihre Ursache nicht in realen Veränderungen der Knappheit von Gütern, sondern in der Menge des zur Verfügung gestellten Geldes. Wird die zu groß, sinkt der Wert des Austauschmittels.
Weshalb ist Inflation so schädlich? Sie hat verzerrende Auswirkungen auf Produktion und Konsum. Weil sich das Halten von Geld wegen der Entwertung nicht mehr lohnt, suchen die Leute Zuflucht bei Gütern, was zu einer Übernachfrage einerseits und zu einer Verknappung der Produktionskapazitäten andererseits führt. Preiserhöhungen sind die natürliche Folge.
Neben diesen volkswirtschaftlichen Verzerrungen führt die Inflation zu einer massiven Umverteilung zwischen Gläubigern und Schuldnern: Schulden entwerten sich laufend, und das Nachsehen haben jene, die auf den Wertbestand angewiesen wären, beispielsweise die Rentner. Inflation hat de facto einen enteignenden Effekt, weshalb sie auch zum Instrumentarium der Politik gehört.
So wie Inflation monetär entsteht, so kann sie auch nur monetär wieder im Keim erstickt werden. Nämlich dadurch, dass durch eine Verknappung der Geldmenge die Abwertungserwartungen des Publikums verändert werden. Das Mittel für diese Verknappung ist die Geldpolitik der Notenbanken. Die Vernichtung von gerade noch aufgebauten Kapazitäten und der Verlust von Arbeitsplätzen sind die Folge, Schrumpfung, soziale Unruhe: das also, was man Rezession nennt.
Steht zum heutigen Zeitpunkt ein Inflationsschub bevor? Oder befinden wir uns gar schon mitten in einer Inflation? Dazu zwei Beobachtungen. Erstens: Gemessen an wirklichen Hochinflationsphasen, wie sie die Weltwirtschaft in den siebziger Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts erschütterten, erweist sich die heute gemessene Geldentwertung als relativ gering, abgesehen von besonderen Verhältnissen, wie sie in bestimmten Schwellenländern herrschen.
Der Vergleich von Wachstums- und Inflationszahlen lässt die Vermutung zu, dass wir heute eher ein Wachstums- denn ein Inflationsproblem haben. Dieser Meinung scheint übrigens auch die Mehrheit am Kapitalmarkt zu sein: Anders lässt sich nämlich kaum erklären, dass weder aus den inflationsgeschützten Anleihen (TIPS) noch aus den ganz langfristigen Bonds wesentliche Inflationserwartungen herauszulesen sind.
Die zweite Beobachtung: Zwischen der sogenannten Kerninflation und der am Konsumentenpreisindex gemessenen Teuerungsrate besteht eine große Differenz. Kerninflation ist die Geldentwertung, die Energie- und Nahrungsmittelpreise ausschließt. Die Unterscheidung zwischen den beiden Messmethoden für Inflation ergibt insofern Sinn, als sowohl die Versorgung mit Energie als auch die mit Nahrungsmitteln von global wirksamen Knappheiten bestimmt wird und somit nicht direkt Gegenstand einer spezifischen Geldpolitik sind.
Eine große Differenz zwischen der Kernrate und der Entwicklung der Konsumentenpreise ist ein Hinweis darauf, dass wir es eher mit einem realwirtschaftlichen Problem zu tun haben und weniger mit einem monetären.
Post hoc ist nicht propter hoc, zeitliches Aufeinanderfolgen ist kein Beweis für eine Kausalität. Die Tatsache des Steigens einzelner, wenn auch enorm wichtiger Faktorpreise wie aktuell der Energie- und Nahrungsmittelpreise ist nicht gleichbedeutend mit einer allgemeinen Geldentwertung in den Industriestaaten.
Das gleichzeitige Auftreten von Inflation und Arbeitslosigkeit – so die gängige Definition von Stagflation – wirkt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch in sich selbst. Denn in inflationären Phasen müsste es doch definitionsgemäß zu wenig und nicht zu viel Produktionskapazitäten geben, müssten aufgrund der überhöhten Güternachfrage doch Arbeitskräfte eingestellt und nicht entlassen werden. Allein, so einfach und letztlich keynesianisch-mechanistisch funktioniert das nicht: Es gibt längerfristig keinen nachweisbaren positiven Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Wirtschaftswachstum. Es zeigt sich im Verlauf von länger währenden inflationären Phasen immer wieder, dass die wirtschaftliche Gesamtnachfrage und das Angebot miteinander zu „stolpern“ beginnen. Die Folge sind Entlassungen, Betriebsschließungen und dergleichen.
Doch droht aktuell eine Stagflation, wie sie eben beschrieben worden ist? Gewiss nicht. Es gibt zwar wiederum einige Elemente, wie es sie bei einer Stagflation auch gibt: Preiserhöhungen in einem Bereich, dem Energiesektor nämlich, Preiszerfall im anderen, dem Immobiliensektor der USA. Aber hinreichend ist das alles längst noch nicht. Einmal mehr: Auch Stagflation setzt mit Inflation ein monetäres Problem voraus, und ein solches ist aus den schon erwähnten Gründen nicht gegeben.
Legen wir also die Begriffe Inflation und Stagflation beiseite und kommen zum dritten aktuell herumgeisternden Begriff, der Rezession. Bekanntlich ist die Weltwirtschaft die letzten sechs Jahre durch eine in dieser Länge und Breite noch nie gesehene Hochkonjunktur geprägt gewesen. Kaum je zuvor wuchs das Bruttoinlandsprodukt dermaßen konstant. Noch nie war das Investitionsklima derart positiv, zeigten sich die Unternehmensbilanzen so robust finanziert. Und noch nie in der Weltwirtschaftsgeschichte waren so viele Länder und Regionen simultan am Aufschwung beteiligt.
Dass auch die beste aller Entwicklungen einmal zu einem (vorläufigen?) Ende kommen kann, liegt auf der Hand. Wachsende Nervosität ist deshalb verständlich. Dennoch lohnt sich auch hier zunächst ein Blick aufs Definitorische. Als Rezession wird eine Phase ausbleibenden Wachstums oder gar schrumpfender Wirtschaftstätigkeit während zweier aufeinanderfolgender Quartale verstanden. Rezession unterscheidet sich von Depression in quantitativer, zeitlicher und qualitativer Hinsicht, indem Erstere (relativ) gnädig verläuft und nach einigen Quartalen in einen neuen Aufschwung mündet, während sich in einer Depression strukturelle und politische Verwerfungen zeigen.
Rezessionen können zweierlei ökonomische Ursachen haben: das Ende einer Inflation, herbeigeführt durch eine restriktive Geldpolitik, oder aber von außen verursachte Veränderungen wie ein weltpolitisches Ereignis, kurz Einflussfaktoren, welche zunächst einmal Vorsicht, Zurückhaltung im Konsum und in der Investitionstätigkeit zur Folge haben.
Es ist deshalb falsch, eine Rezession als etwas prinzipiell Schlechtes zu sehen. Größere strukturelle Veränderungen sind ohne wenigstens eine konjunkturelle Abschwächung kaum denkbar. Entsprechend fragwürdig sind Maßnahmenpakete oder geld- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen, dieum jeden Preis Rezessionen vermeiden sollen. Letztlich wirken sie alle strukturerhaltend und langfristig wachstumsmindernd.

Kommt hinzu, dass aufgrund der weit höheren und global orientierten Arbeitsteilung die Anfälligkeit einzelner Volkswirtschaften für tiefe Rezessionen oder gar Depressionen bedeutend geringer geworden ist. Dies scheint auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein: Man könnte meinen, eine höhere Verflechtung führe automatisch zu einer höheren Abhängigkeit der Weltgegenden voneinander. Das Gegenteil ist der Fall: Wegen der höheren Verfügbarkeit fast aller Güter auf allen Fertigungsstufen und unter weitgehend intakten Wettbewerbsbedingungen gibt es weit weniger physische Engpässe als früher.
Wenn wir über die Möglichkeit eines weltweiten Wirtschaftsabschwungs, für die USA einer Rezession sprechen, so sollte das genau in dieser relativierenden Art geschehen: Eine Rezession ist weder grundsätzlich des Teufels, noch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein konjunktureller Abschwung in eine Depression mündet. Dafür gibt es schlicht keine Anhaltspunkte.
Kein Zweifel: Die Lage ist ernst. Die Weltwirtschaft wird mit sehr tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert. Erdöl, Energie ganz allgemein, befeuert die Wachstumsmotoren. Hohe Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise bewirken einen Teuerungsschub, der das übrige verfügbare Einkommen spürbar reduziert.
Die hohen Credit-Spreads als Risikoprämien für das Ausfallrisiko von Unternehmensanleihen erschweren den Industrieschuldnern die Finanzierung von Investitions- und anderen Vorhaben. Die Korrekturen von unrealistischen Wechselkursen wichtiger Schwellenländer stellen eingespielte Güterströme und Exporteinnahmen infrage, außerdem fürchtet man sich wohl zu Recht vor sozialer Unruhe im Gefolge hoher Inflationsraten und absehbarer Arbeitslosigkeit in einigen von diesen Ländern, namentlich in China.
Doch keines der genannten Phänomene ist zyklischer Natur, stattdessen sind die Verzerrungen auf Politikversagen größten Ausmaßes zurückzuführen. Solche Verzerrungen hat es immer schon gegeben. Neu ist aber, dass sie nicht nur regional wirksam werden, sondern den ganzen Globus betreffen und damit selbstverständlich in der Lage sind, auch so etwas wie eine globale Panik auszulösen.
Es droht Gefahr aus zwei Richtungen: erstens, dass man versucht wäre, Verzerrungen durch noch schlimmere Verzerrungen zu beseitigen. Das wäre etwa der Fall, wenn man auf Erdöltransaktionen eine Spekulationssteuer einführen wollte oder wenn man an Preiskontrollen im Energie- und Nahrungsmittelbereich dächte. An diesbezüglichen Ideen fehlt es bekanntlich auf der politischen Seite nicht.
Die zweite Gefahr bestünde in unbedachten Reaktionen der Notenbanken, und zwar in zwei Richtungen: entweder weil man Inflation vermutet, wo es sich „lediglich“ um spezifische oder gar vorübergehende Preisveränderungen handelt, und durch eine Geldverknappung die Weltwirtschaft übermäßig drosselt. Oder weil man die Rezessionsgefahr überschätzt und die Geldschleusen wie 2001 definitiv zu weit öffnet – dabei vorausgesetzt, man unterstellt, das Wirtschaftssystem brauche in solchen Anpassungsprozessen weitgehende Hilfestellungen seitens der Notenbanken.
Gelassenheit wäre mit Sicherheit das bessere Rezept. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen an neue Situationen wird systematisch unterschätzt. Es sind gerade Schocks und nicht graduelle Veränderungen, die zum Denken anregen! Kein Zweifel, die nächsten Monate, vielleicht Jahre werden wirtschaftlich schwieriger als die vorangegangenen. Aber am Ende wird die Welt, werden auch die Aktienbörsen besser dastehen als jemals zuvor.

Der Autor ist Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers.
Quelle: http://www.handelsblatt.com