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Jeder durfte mal Millionär sein

Von Stefan Ruhkamp

03. Juli 2008 Auf dem Speicher von Opa Brennecke waren wir Millionäre. Der freundliche Nachbar erlaubte uns Kindern das Herumstöbern in seinen Kisten und Koffern. Und neben der furchterregenden Gasmaske aus dem Weltkrieg war die Kiste mit den Geldscheinen aus den Zwanziger Jahren die dollste Attraktion. Die riesigen Beträge, die auf den achtlos verstauten Banknoten standen, heizten unsere Phantasie an. Was konnte man nicht alles für eine Million Mark kaufen oder gar für eine Milliarde?
Nicht viel - jedenfalls nicht in der Zeit, als die Reichsmarkscheine gültig waren. Zu Beginn der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wirbelte eine rasante Geldentwertung die deutsche Gesellschaft durcheinander. Wer sein Leben lang gespart und Staatsanleihen gezeichnet hatte war ebenso verarmt wie Rentner und Beamte. Reich wurden alle, die Sachwerte besaßen.

Karren voller wertlosem Papiergeld
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation zogen die Arbeiterfrauen mittags mit dem Handkarren in die Fabriken, um den Lohn ihrer Männer abzuholen und ihn für Lebensmittel auszugeben. Den Karren brauchten sie nicht etwa, weil es so viel Gemüse und Brot zu kaufen gegeben hätte, sondern weil das Papiergeld trotz der in die Billionen gehenden Nennwerte so wenig wert war, dass man selbst für kleine Einkäufe mehr Geld braucht, als ein Mensch tragen kann. Ende 1923 lohnte es sich gar, das nahezu wertlose Papiergeld zu verheizen oder als Altpapier zu verwenden.
Seit dieser Zeit zählt die Inflation zum kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Die Universität Tübingen pflegt den Schatz ihrer Inflationsanekdoten ebenso liebevoll, wie der Gemischte Chor Bethen, der an den Tausch von 500 Pfund Roggen gegen 50 Gesangbücher erinnert. Auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank finden sich gerade einmal 200 Einträge zur Deflation, aber rund 2000 zu Inflation und Hyperinflation.
Der Schreck sitzt so tief, dass der jüngste Anstieg der Teuerungsraten von knapp 2 auf gut 3 Prozent seit Monaten die Nachrichtensendungen und Titelseiten der Tageszeitungen beherrscht. Ohne das gut 75 Jahre zurückliegende Trauma der deutschen Hyperinflation wäre es wohl kaum denkbar, dass die Europäische Zentralbank auf den vornehmlich durch die hohen Energiekosten verursachten Preisanstieg der vergangenen Monate derart entschlossen reagiert und trotz der immer noch schwelenden Finanz- und Bankenkrise Zinserhöhungen in Aussicht stellt.

Das Desaster begann im Ersten Weltkrieg
Fast alle Inflationsanekdoten beziehen sich auf die Jahre 1922 und 1923. Dabei begann das Desaster viel früher. Die Deutschen führten den Ersten Weltkrieg auf Pump. Die Golddeckung der Währung war schon zuvor aufgeweicht worden, aber mit Beginn des Krieges im Jahr 1914 gab es kein Halten mehr. Die Reichsbank gab der Regierung Kredit und warf die Notenpresse an. Zudem verschuldete sich der deutsche Staat mit Kriegsanleihen bei der eigenen Bevölkerung. Die Preise begannen schon bald zu steigen, nach heutigen Maßstäben beängstigend schnell.
1920, zwei Jahre nach dem Ende des verlorenen Krieges, waren die Lebenshaltungskosten gegenüber dem Jahr 1913 auf das Achtfache gestiegen. Doch das war erst das Vorspiel: Wieder zwei Jahre später lagen sie bei dem Zwanzigfachen, Anfang 1923 bei dem Tausendfachen. Dann ging es immer schneller und am Ende des Jahres waren die Preise für Lebensmittel mehr als eine Milliarde mal so hoch wie zehn Jahre zuvor. Ein Kilogramm Roggenbrot zum Beispiel kostete am 3. Januar 1923 in Berlin 163 Reichsmark, am 19. November forderten und erhielten die Bäcker die phantastische Summe von 233 Milliarden Reichsmark.

Witzfigur an der Spitze der Reichsbank
Lange Zeit wurde die Hyperinflation als ein politisches und finanzwirtschaftliches Versagen interpretiert. Reichsbank-Präsident von Havenstein wirkt in der Literatur mitunter wie eine Witzfigur. Stolz sei er gewesen auf die reibungslose Versorgung mit immer größeren Bargeldmengen. Übrigens war das wirklich eine logistische Meisterleistung. Allein in der Reichsdruckerei waren 7500 Menschen mit dem Drucken von Papiergeld beschäftigt. 84 private Druckereien stellten Banknoten her, 30 Papierfabriken lieferten den Rohstoff. Die gutgeölte Maschinerie heizte die Inflation immer weiter an.
Inzwischen ist das Urteil der Wissenschaft differenzierter. Nach dem Kriegsende stand der deutsche Staat vor enormen Aufgaben. Die deutsche Wirtschaft lag am Boden, Millionen demobilisierte Soldaten standen auf der Straße und obendrein lasteten riesige Reparationsforderungen auf den Finanzen des Staates, der nach dem Krieg ohnehin überschuldet war. Die Inflation verhieß einen raschen Ausweg aus der Klemme. Die Schulden des Staates gegenüber dem Inland wurden innerhalb weniger Monate fast vollständig entwertet. Die frisch gedruckten Banknoten reichten, um umfangreiche Sozialprogramme zu finanzieren und so politische Unruhen zu vermeiden. Zugleich begünstigte die Politik des billigen Geldes die wirtschaftliche Erholung. Und tatsächlich stieg die Leistung der deutsche Wirtschaft zunächst. Die Industrieproduktion wuchs 1920 um 45 Prozent, 1921 um 20 Prozent.

Ersparnisse fast vollständig entwertet
Doch dafür wurde ein hoher Preis gezahlt. Das war nicht nur der wirtschaftliche Rückschlag im Jahr 1923, als die Produktion um 34 Prozent sank. Die faktische Enteignung großer Teile der Bevölkerung wiegt schwerer und nachhaltiger. Vor allem die Mittelschicht wurde getroffen, dessen Ersparnisse fast vollständig entwertet wurden. Die Löhne der Arbeiter und Angestellten wurden zwar wegen der steigenden Lebenshaltungskosten laufend erhöht, in den Krisenjahren zeitweise täglich. Doch das geschah mit Zeitverzug, was erst recht für die Einkommen der Pensionäre und Rentner galt. Die Einbußen trafen vor allem die Besserverdienenden. Das um die Inflation bereinigte Realeinkommen von Beamten im Höheren Dienst zum Beispiel verringerte sich von 1914 bis 1920 um fast zwei Drittel. Geringqualifizierte Staatsdiener büßten nur etwa ein Drittel ihrer Kaufkraft ein.
Doch es gab auch Gewinner. Wer auf Pump Sachwerte wie Häuser, Land und Fabriken gekauft hatte, war schon bald seiner Schulden enthoben. Die vor dem Beginn der Hyperinflation geliehenen Millionen konnten mit einem einzigen Geldschein getilgt werden, selbst wenn der nicht einmal mehr für den Kauf eines Pfund Butters gereicht hätte. Besonders reich wurden die mit besonders großen Schulden. Die Liste der Industriellen, die ihr Glück in den Inflationsjahren gemacht haben reicht von Otto Wolff, Friedrich Flick, Hugo Herzfeld bis Alfred Hugenberg. Als sagenhaft galt aber der Reichtum von Hugo Stinnes, der damals einen Ruf hatte wie heute Warren Buffet. Stinnes baute einen für damalige Verhältnisse riesigen Mischkonzern auf und war unter anderem Großaktionär bei den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE).

Entschuldung für den deutschen Staat
Größter Schuldner und größter Nutznießer der Geldentwertung war aber der deutsche Staat, der seiner Inlandsschulden ledig war. Allerdings hatte der Finanzminister Hermes im Januar 1923 das zweifelhafte Vergnügen einen Etat über sage und schreibe 3500 Milliarden Reichsmark. „Deutschland entwickelt sich zu einem Volk von Millionären“, berichtete der spanische Journalist Eugeni Xammar seinen Lesern. Und es sei natürlich, dass der Finanzminister eines Volks von Millionären sich nicht mit einem Haushalt von weniger als dreieinhalb Billionen zufriedengibt. „In seiner gestrigen Rede ließ Dr. Hermes sich gar nicht erst dazu herab, den Mund aufzutun, um von weniger als fünfzig Milliarden zu sprechen.“
Zweifelhaft war das Vergnügen aber dennoch, weil die riesige Summe, den mageren Gegenwert von nur 140 Millionen amerikanischen Dollar hatte. Selbst das arme und kleinere Spanien verfügte über einen höheren Etat als Deutschland.

Der Dollar wurde Parallelwährung
Längst hatte sich natürlich der Dollar als Parallelwährung etabliert und bestimmte den Rhythmus der Wirtschaft. Jeder Einkauf, jede Investition, ließ sich nur nach einem Blick auf den Devisenkurs beurteilen. „Einen befreundeten Spekulanten anrufen und ihn fragen, wie die Mark im Augenblick steht, ist ganz einfach, denn in Berlin sind im Augenblick alle Freunde Spekulanten und lassen den Dollar nicht eine Sekunde aus den Augen“, berichtete der Spanier Xammar. Und die Spekulanten sahen den Wert der Mark fallen. Vor dem Krieg kostete ein Dollar 4,20 Reichsmark, Anfang 1919 gut 8 Mark. Bis Anfang 1922 stieg der Dollarkurs auf knapp 200 Reichsmark, am Ende des Jahres zahlten die Deutschen rund 7500 Reichsmark für einen Dollar.
Die Abwertung der Mark - die noch schneller fiel, als die Preise stiegen - führte dazu, dass Ausländer und Besitzer von Fremdwährungen wie die Könige lebten. Ernest Hemingway berichtete von einem luxuriös verbrachten Tag in Kehl am Rhein. Für sich und seine Frau brauchte er dafür den Gegenwert von 90 kanadischen Cent. „Da die Zollbestimmungen sehr streng sind“, schrieb Hemingway, „können die Franzosen nicht nach Kehl kommen und all die billigen Waren aufkaufen, was sie gern täten. Aber sie können herüberkommen und essen. Es ist schon sehenswert, wie der Mob jeden Nachmittag die deutschen Konditoreien und Cafes stürmt.“

Die Rentenmark brachte die Erlösung
Den Tiefpunkt erreichte die deutsche Währung Ende des Jahres 1923. Frankreich hatte im Streit über die Reparationen das Ruhrgebiet besetzt. Die Reichsregierung finanzierte den passiven Widerstand und verschärfte damit die Krise. Schließlich stieg der Kurs des Dollar auf 4200.000.000.000 Reichsmark.
Beendet wurde die deutsche Hyperinflation erst mit der Einführung der Rentenmark, die von der eigens dafür gegründeten Deutschen Rentenbank von November 1923 an ausgegeben wurde. Zugleich endete auch der exzessive Einsatz der Notenpresse. Nachfolgeinstitut der Rentenbank ist übrigens die Landwirtschaftliche Rentenbank, die sich heute um die Finanzierung der deutschen Landwirtschaft verdient macht. Die grundsolide Bank ist vom deutschen Staat garantiert, weshalb sie genau wie Deutschland eine erstklassige Bonität hat. Und man möchte der Bank und den Deutschen wünschen, dass sich daran nie etwas ändert. Auf das der Euro nicht auch eines Tages als skurriles und wertloses Überbleibsel einer Inflation auf dem Speicher endet.

Quelle: http://www.faz.net