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Die Rente ist unsicher

von Ruth Reichstein
Die Niederlande waren Europas Mustersozialstaat. Nun sind Aktien der Rentenfonds kaum etwas wert, dem System droht der Kollaps. Die Menschen fühlen sich betrogen.

AMSTERDAM. Fons Caris hätte genügend Gründe, glücklich zu sein. Er ist 63, er blickt auf ein erfülltes Leben. Die beiden Kinder sind groß und haben gute Jobs. Zwei gesunde Enkel sind geboren. Er und seine Frau haben ein kleines Haus an den alten Kanälen von Maastricht gekauft. Sie sitzen gerne im Garten, wie jetzt, zwischen Narzissen und Tulpen, eine Hand auf dem Kopf des Schnauzers. Gut, ein paar kleine Gebrechen bringt das Alter mit sich. Aber was sollte ihnen schon groß passieren, als Rentner, noch dazu in Holland? Er hätte ein paar unbeschwerte Jahre vor sich, dachte Caris bis vor kurzem.
Bis die Rentenfonds SOS meldeten und harte Sparpläne ankündigten. Nirgendwo ist das solch ein Schock wie in Holland, dem Mustersozialstaat Europas, auf den andere Länder immer neidisch geblickt haben. Die Holländer selbst dachten, ihr Wirtschaftswachstum sei ein Naturgesetz wie die Vollbeschäftigung und wie der Umstand, dass die Rentenfonds gutes Geld mit Aktien verdienen und so gute Renten garantieren.
Nun aber hat die Krise eingeschlagen. Die Wirtschaftsleistung soll um dreieinhalb Prozent zurückgehen. Die Aktien der Rentenfonds sind kaum noch etwas wert, die Verluste reißen monströse Löcher in deren Bilanzen. Das gesamte Rentensystem ist bedroht, und die Politiker müssen eingestehen, dass es teuer für alle wird, wenn der Kollaps noch abgewendet werden soll.
Rentner fühlen sich verschaukelt
"Wir haben ein echtes Problem", sagt zum Beispiel Pieter Omtzigt. Omtzigt, 35, ist der jüngste Sprecher in der Fraktion der regierenden Christdemokraten, zuständig für Rentenfragen. Er steckt in einem faltenlos gebügelten blauen Anzug und eilt mit einem Koffer-Trolley durch den Bahnhof am Flughafen Schiphol. Er ist derzeit ständig unterwegs zwischen Regierungssitz und seinem Wahlkreis. Er will die Rentner um Verständnis für den Notplan der Regierung bitten. Der sieht, unter anderem, vor, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre heraufzusetzen. "Die Lebenserwartung ist gestiegen. Die Leute bekommen viel länger Rente, und weder der Staat noch die Rentenfonds haben ausreichend Geld", sagt Omtzigt.
Caris und seine Frau fühlen sich von der Regierung verschaukelt. "Unsere Rente ist nämlich nicht so sicher, wie man uns immer gesagt hat", sagt er. Er hat nachgerechnet, wie viel Rente ihm bleiben wird.
Anders als in Deutschland üblich sichern sich Holländer viel stärker über eine kapitalgedeckte Rente fürs Alter ab. Der Staat bezahlt zwar unabhängig von Lohn und Arbeitszeit eines Arbeitnehmers eine Grundrente, die durch Steuern finanziert wird. Für ein verheiratetes Paar wie Fons Caris und seine Frau Jeanne sind das 1 370 Euro im Monat. Diese Grundrente stocken dann 95 Prozent der Niederländer mit Betriebsrenten auf. Ihre Beiträge werden von Rentenfonds verwaltet und angelegt, um die Rendite zu erhöhen. In zwei Jahren bekäme Fons Caris jeden Monat 708 Euro zusätzlich ausbezahlt.
"Alle großen Fonds haben das Ziel, die Renten mindestens der Inflation anzupassen", sagt Olaf Sleijpen, strategischer Direktor von APG, dem größten Rentenfonds des Landes. "Das zwingt uns zu einem gewissen Risiko." Das ist nun ein gewisses Problem.
Sleijpen sitzt in seinem Büro in der achten Etage des World Trade Centers am Amsterdamer Flughafen Schiphol. Er malt mit einem dicken, schwarzen Filzstift eine steil abfallende Kurve auf einen Flipchart. "Die Kurse haben rund 50 Prozent verloren. Das hat uns mit in den Keller gerissen." Er fährt nervös mit einer Hand durch seine kurzen Locken. Er hat nicht in amerikanische Schrottimmobilien investiert, trotzdem hat die APG in wenigen Monaten 40 Milliarden Euro verloren. Der Topf, aus dem die Renten bezahlt werden, ist geschrumpft. Sleijpens Notfallprogramm: keine Anpassung mehr an die Inflation, mindestens die nächsten fünf Jahre. Beiträge erhöhen.
Bei den rund 600 anderen Fonds in den Niederlanden sieht es ähnlich aus. Die meisten erhöhen die Beiträge - um bis zu 50 Prozent. Fons Caris erlebt es in der Baufirma seines Sohnes. Er hilft dort bei der Büroarbeit, kümmert sich um die Abgaben an den Rentenfonds: "Sie haben uns gerade die Beiträge von zwölf auf 18 Prozent des Lohns erhöht. Wenn die Leute davon etwas hätten, würde ich meinen Arbeitgeberanteil gerne bezahlen. Aber wir bezahlen alle mehr, und keiner hat etwas davon." Sein Sohn hat sich über einen Bauplan gebeugt. "Ich habe mir früher nie Gedanken gemacht um meine Rente. Sie galt ja als sicher. Aber jetzt zweifle ich, ob ich mich darauf verlassen kann", sagt Marco Caris.
Noch verhandeln Regierung und die Sozialpartner
Genau das werfen Wirtschaftsexperten der Regierung und den Rentenfonds vor. Die Krise sei nicht vorhersehbar gewesen, "aber die Politiker hätten die Leute vorwarnen müssen, dass ihre Renten eben nicht zu 100 Prozent sicher sind", sagt etwa Arnoud Boot von der Universität in Amsterdam. Er schlägt vor, die Anlagen der Renten für Geringverdiener sicherer zu machen. "Sie sind von den Verlusten am stärksten betroffen."
Die Regierung in Den Haag will davon nichts wissen. Die einzige Änderung, für die sich auch der Rentenbeauftragte Omtzigt einsetzt: dass die Fonds in Zukunft offenlegen sollen, in welche Anlagen sie die Rentengelder investieren.
Fons Caris gibt sich damit nicht zufrieden. Er war früher Betriebsrat, jetzt sucht er wieder den Zusammenhalt in der Gewerkschaft. Der Gewerkschaftsbund FNV, in dem fast alle großen Arbeitnehmervertretungen Hollands zusammengeschlossen sind, tourt gerade durchs Land. Thema: die Rente. Caris trägt um den Hals das orangefarbene Tuch der "FNV". "Die Regierung", sagt er, "gibt den Banken, die die Krise verschuldet haben, Milliarden von Euro. Und wir müssen dafür bezahlen." Die Kollegen um ihn herum geben ihm recht. Die Rente mit 67 kommt hier ganz schlecht an, und gerne beziehen sich die Gewerkschaftler auf Informationen der Verdi-Kollegen in Berlin. Nur einer von fünf Deutschen hält demnach bis 65 in seinem Beruf durch.
Noch verhandeln Regierung und die Sozialpartner. Fons Caris wird hinterher rechnen. Immerhin eine Sicherheit hat er. Wenn gar nichts mehr geht, weiß er, dass er sich wenigstens auf seinen Sohn verlassen kann.

Dieser Bericht wurde nicht geprüft. Für Richtigkeit der Angaben übernimmt Silbernews.at keine Haftung.
Quelle: » Handelsblatt.com