StartseiteAllgemeinesBeständeAnlageformenAnalysenWissenswertesChartsHandelBlog

Wissenswertes:

Silber (Archiv)

Allgemeines über Edelmetalle

Papiergeldsystem

Erklärungsbegriffe

Krisenvorsorge

Krisenvorsorge:

Beiträge zur Krisenvorsorge

Beiträge zur Krisenlage

Beiträge zur Krisenbegriffe

Beiträge zur Krisengeschichten

Allgemein:

Startseite

News (RSS)

Link´s

Sitemap

Kontakt

Disclaimer

Wolfgang Münchau - Im Blindflug durch die Finanzmärkte

von Wolfgang Münchau

Politiker weltweit versuchen sich an Lösungen für die Finanzkrise. Deren wahre Ursachen aber sind noch gar nicht geklärt.
Wenn man ein Problem lösen möchte, sollte man es zunächst verstehen. Bei einer komplexen Finanzkrise ist das allerdings gar nicht so leicht. Heute steht in jedem Geschichtsbuch, was die Große Depression in den 30er-Jahren verursacht hat: Geld- und Fiskalpolitik waren zu restriktiv. Eine Deflation der Güterpreise hatte verheerende Folgen für Schuldner, da der reale Wert der Verpflichtungen weiter anstieg. Der Smoot-Hawley Tariff Act, durch den die US-Einfuhrzölle massiv anstiegen, wirkte als Bremse für den Welthandel. Es gibt zwar immer noch Debatten über einzelne Aspekte der Großen Depression, aber unter Ökonomen und Historikern besteht Konsens über die wesentlichen Ursachen.
Während der Großen Depression selbst waren diese Ursachen alles andere als klar. Ludwig Erhard vermutete damals, der tiefe Grund für die Krise liege bei den Kartellen. Er hatte unrecht, was auch daran lag, dass die Faktenlage nicht geklärt war. Die Fakten über die Große Rezession wurden erst später von Autoren wie Charles Kindleberger oder Ben Bernanke zusammengetragen. Somit wird deutlich, dass sich derart komplexe Krisen erst nach langer Zeit in ihrer vollen Dimension verstehen lassen. Das macht die Krisenpolitik umso schwieriger.

Mehr Kontrolle hilft nicht unbedingt weiter

Auch heute sollten wir nicht davon ausgehen, dass wir die tiefen Ursachen dieser Krise bereits verstehen. Wer gleich "menschliches Versagen" schreit, unterschätzt möglicherweise die strukturellen Ursachen. Natürlich wissen wir, dass die Banken falsche Anreize hatten. Wir wissen, dass die Ratingagenturen ein übles Spiel gespielt haben und die Banken sich mit Schrottpapieren ins Bockshorn jagen ließen. Dies ist alles richtig und bekannt. Doch erklärt es noch nicht notwendigerweise die Ursachen. Eine Ursache ist etwas, ohne das es zu dieser Krise nicht gekommen wäre.
Ich wage zu behaupten, dass wir auch mit Basel III oder Basel IV oder ganz anderen Eigenkapitalregeln eine Krise bekommen hätten, wenn auch vielleicht eine etwas andere. Das sollte uns nicht daran hindern, die Eigenkapitalregeln zu reformieren und die Ratingagenturen der Kontrolle zu unterwerfen. Aber es ist nicht sicher, dass dies das eigentliche Problem löst.
Was die Ursachen angeht, haben wir bislang nur mehr oder weniger plausible Spekulationen. Meine eigene Vermutung ist eine andere als die der Staats- und Regierungschefs, die am Wochenende in Washington einen langen Katalog geplanter neuer Regeln aufstellten. Natürlich war auch von makroökonomischen Ungleichgewichten und fehlenden Strukturreformen die Rede, doch damit ist nicht sehr präzise gesagt, was gemeint ist. Ich glaube, der wirkliche Motor dieser Krise liegt nicht im Finanzsystem selbst, auch wenn sich die Krise dort zutrug, sondern in der Wirtschaftspolitik der alten und neuen Industrieländer. Ich weiß nicht, ob ich recht habe oder nicht. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Vermutung. Wenn ich recht habe, dann ist unsere Krise keine Krise der Märkte, sondern eine Krise der Politik.
Unter makroökonomischen Ungleichgewichten verstehe ich extreme Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite. Die Asiaten haben nach der Finanzkrise in den 90er-Jahren mit zwei Schritten reagiert. Man ließ die Währungen unterbewertet, um den Export anzutreiben. Und da man nicht genug konsumierte und in die Infrastruktur investierte, bildeten sich Leistungsbilanzüberschüsse und Fremdwährungsreserven, die man überwiegend in den USA investierte.
Die USA nutzten zu ihrem kurzfristigen Vorteil die Rolle des Dollar als Weltwährung, was in der internationalen Ökonomie als "exorbitantes Privileg" bezeichnet wird. Die US-Zentralbank senkte die Zinsen auf ungewöhnlich niedrige Niveaus. Und mit den geringen Zinsen bildete sich zu Hause eine Reihe von Blasen, bei den Immobilien, bei den Aktien und natürlich bei den Krediten und später bei den Rohstoffen. Der US-Ökonom Jeffrey Frankel hat vor Kurzem in einer mittlerweile viel zitierten Studie den Zusammenhang zwischen niedrigen Zinsen und der Rohstoffblase nachgewiesen.* Damit ist zwar nicht der Beweis erbracht, dass Niedrigzinsen die Krise verursacht haben, aber zumindest kann man nicht mehr behaupten, dass die US-Zinspolitik neutral war.

Ohne Ungleichgewichte keine Kreditblase

Wenn man diese verschiedenen Faktoren zusammenfasst, erkennt man eine Kette, deren Hauptbindeglieder asiatischer Merkantilismus und amerikanische Kurzfristökonomie sind. Auch in einem solchen Szenario hat der Finanzsektor versagt. Ohne Fehlentwicklungen in den Finanzmärkten wäre die Blase wahrscheinlich nicht so groß geworden. Das akzeptiere ich völlig. Der entscheidende Punkt ist aber, dass es ohne globale Ungleichgewichte erst gar nicht zu einer derartigen Blase gekommen wäre. Wenn die USA eine konservativere Zinspolitik betrieben hätten, wenn Präsident George W. Bush den strukturellen Haushaltsüberschuss, den er von seinem Vorgänger geerbt hatte, nicht in ein Defizit umgewandelt hätte und wenn die Asiaten ihre Währungen nicht künstlich niedrig gehalten hätten, dann wäre uns diese Krise erspart geblieben. Es wäre nicht zu einer Hauspreisblase gekommen und damit nicht zu einer Kreditblase.
Vielleicht wird diese Theorie in Zukunft widerlegt und durch eine andere, bessere ersetzt. Ich halte es allerdings für unwahrscheinlich, dass man in den Geschichtsbüchern der Zukunft lesen wird, die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise des ersten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends sei durch schlechte Regulierung verursacht worden oder durch Hedge-Fonds oder durch überhöhte Gehälter. Ich wette, dass es eine makroökonomische Erklärung geben wird, wenn auch vielleicht mit einer anderen Theorie als der meinigen. Wenn ich richtig mit dieser Vermutung liege, sollten wir von der Politik nicht allzu viel Hilfe erwarten. Die Krise nimmt weiter ihren Lauf.

*Jeffrey Frankel (2006): "The Effect of Monetary Policy on Real Commodity Prices", in: John Campbell (Hrsg.), Asset Prices and Monetary Policy, University of Chicago Press
Wolfgang Münchau ist FTD- und FT-Kolumnist. Er leitet den Informationsdienst Eurointelligence.com.

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.ftd.de