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Märkte und Monster

von Frank Wiebe
Die Finanzkrise ist aus dem Rückenmark des Kapitalismus entstanden und frisst sich wie ein Krebsgeschwür durch alle Bereiche der Weltwirtschaft. Was die Krise über den Kapitalismus und den Staat lehrt und wie die Irrtümer der Linken und der Neoliberalen sich ähneln.
Mitte Oktober standen wir kurz vor dem Absturz des weltweiten Finanzsystems. Selbst die abgebrühtesten Banker konnten nur noch hoffen und bangen, dass die Politiker ihnen zur Hilfe eilen und die Finanzmärkte wenigstens halbwegs beruhigen. Auch heute ist die Krise noch längst nicht vorbei. Während es mitten im 30-jährigen Krieg, zwischen Seuchen, Totschlag und Anarchie, möglich war, Geld per Wechsel quer durch Europa zu transferieren, weil die Bankiers sich gegenseitig vertrauten, stehen in der modernen Wohlstandsgesellschaft schon seit über einem Jahr selbst Banken, die Tür an Tür residieren, nicht mehr füreinander ein.
Das ist das Erschreckendste an der Krise: Sie kam nicht von außen, etwa durch politische Spannungen oder die Verknappung von Rohstoffen, in die Märkte hinein. Nein, diese Finanzkrise, die erste wirklich weltweite, ist aus dem Finanzsystem selbst, quasi aus dem Rückenmark des Kapitalismus, entstanden und frisst sich wie ein immer schneller wucherndes Krebsgeschwür durch alle Bereiche der Weltwirtschaft. Kein Wunder, dass die Lobeshymnen auf die freie Marktwirtschaft nur noch krächzend zu hören sind und die Kritiker des Kapitalismus Marschlieder anstimmen.
Hat der Kapitalismus seine Glaubwürdigkeit verloren? Ist die Theorie falsch, dass die Märkte besser als Politiker die Bedürfnisse der Menschen befriedigen können? Müssen wir die Finanzwelt in ein Korsett zwängen, das ihr keine Chance lässt, sich immer wieder zum Monster zu entwickeln?
Wer auf diese und ähnliche Fragen sofort eine Antwort bereit hat, der hat nicht begriffen, welche Herausforderung diese Krise darstellt. Es geht nicht mehr an, die alten Denkmuster hier und da ein bisschen anzupassen. Die überholte Diskussion, ob der Staat oder die Märkte "recht" haben, die immer noch nach dem ideologischen Staub der 70er-Jahre riecht, sollten wir endgültig ad acta legen.
Es gilt jetzt, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Märkte und Staat, die eng aufeinander angewiesen sind, als Gesamtsystem zusammenwirken und welche Gefahren in diesem System stecken. Auch die populäre Vorstellung, dass der Staat den "Rahmen" bereitstellt, innerhalb dessen die Märkte dann die Wirtschaftsprozesse steuern, ist zu simpel. Der Staat ist Teil des Systems. Wenn er stärker reguliert, beeinflusst er die Märkte, wenn er Regulierung abbaut, aber ebenso - er ist niemals neutral und darf sich auch gar nicht in dieser Illusion wiegen.
Es gibt hier einen wichtigen Punkt, der zwar nicht neu ist, aber selten in aller Konsequenz durchdacht wird: Die Finanzmärkte funktionieren grundsätzlich anders als "normale" Warenmärkte. Sowohl Verteidiger wie auch Kritiker des Kapitalismus übersehen diesen Unterschied gern und halten entweder den Finanzmärkten die Vorzüge der normalen Märkte zugute oder wittern in allen Märkten die spezifischen Gefahren der Finanzmärkte.
Finanzmärkte sind inhärent instabil. Das heißt, sie entwickeln durch ihre eigene Funktionsweise immer wieder Kräfte, die zunächst zu einem Boom und dann zu einem starken Einbruch oder sogar Zusammenbruch führen. Das zeigt die Geschichte der Börsen seit Jahrhunderten, es lässt sich sogar in Laborexperimenten mit künstlichen Finanzmärkten nachweisen, wie etwa der Wissenschaftler Bernard Ruffieux schon im Jahr 2004 gezeigt hat. Die Konsequenz daraus lautet aber: Die Theorie, dass Märkte sich durch "Selbstheilungskräfte" immer wieder fangen, ist hier falsch. Die Theorie, dass Märkte immer die besten Maßstäbe für wirtschaftliche Werte abgeben, ebenso. Die Vorstellung, dass es die Gier ist, die Märkte aus dem Ruder laufen lässt, trifft aber auch haarscharf daneben: Investoren und Banker sind immer gierig, aber nicht immer bringen sie damit das System zum Einsturz.
Was unterscheidet Finanzmärkte von anderen Märkten? Bei einem normalen Markt gibt es Käufer auf der einen und Verkäufer auf der anderen Seite. Der Preis ergibt sich dann ganz brav aus Angebot und Nachfrage, und das ist ein ziemlich stabiler Mechanismus, der sich durch nichts ersetzen lässt und tatsächlich nicht viel mehr als einen vernünftigen staatlichen "Rahmen" braucht.
Bei Finanzmärkten hingegen wechseln alle Beteiligten ständig die Rolle, sind mal Käufer, mal Verkäufer. Wenn es ruhig zugeht, passen Angebot und Nachfrage zusammen. Wenn es aus dem Ruder läuft, ist auf einmal fast nur Nachfrage oder fast nur Angebot da. Dann gelten die Märkte als "verrückt" und die Anleger als "gierig" oder "panisch". Tatsächlich schauen die Anleger in extremen Situationen nicht mehr auf den Wert der Aktien - oder was auch immer da gehandelt wird. Sie handeln danach, was sie erwarten, wie die anderen handeln - dieser Rückkopplungseffekt ist der Motor jedes Booms und jeder Krise, jedenfalls in der jeweiligen Endphase. Während ein normaler Markt also wie ein Pendel funktioniert, das mit der Zeit ruhiger wird, gleichen die Finanzmärkte eher einem Seiltänzer, der sich nur noch mit Mühe fangen kann, wenn er einmal aus dem Gleichgewicht gerät - und der im schlimmsten Fall abstürzt.
Der amerikanische Professor Franklin Allen hat so kürzlich die Situation auf einigen Wertpapiermärkten beschrieben, die zurzeit völlig zusammengebrochen sind. Als die Preise immer weiter fielen, stiegen die ersten Anleger ein und kauften. Der Verkaufsdruck war aber so stark, dass die Preise noch weiter fielen. Nach dieser Erfahrung war niemand mehr bereit, etwas zu riskieren, und die Kurse rauschten ab ins Bodenlose. Allen sieht das spiegelbildlich zum Boom der Tech-Aktien vor gut acht Jahren. Damals spekulierten einzelne Investoren gegen den Anstieg der Kurse und verbrannten sich die Finger. Danach wechselten alle auf die Käuferseite, und es war kein Halten mehr - bis das Kartenhaus dann doch einstürzte.
Auf den Einwand seines deutschen Kollegen Jan Pieter Krahnen, diese angebliche Differenz zwischen Preis und "Wert" widerspreche doch allem, was man den Studenten beibringe, sagte Allen: "Genau das ist ein Problem der ökonomischen Theorie." Die orthodoxe ökonomische Lehre, nach der Märkte die "richtigen" Preise zeigen, gilt eben nicht immer. Deswegen ist auch falsch, was die US-Notenbank, vor allem unter Alan Greenspan, lange Zeit behauptet hat: dass es nicht möglich sei, eine Kursblase festzustellen, bevor sie geplatzt sei; inzwischen stellt sie selbst diese Position infrage. Ehrlicher war da der ehemalige Citigroup-Chef Chuck Prince mit seiner Aussage, man tanze eben so lange, wie die Musik spielt. Irgendwann wissen zwar alle, dass der Markt verzerrt ist. Aber weil sich keiner traut, gegen den Markt zu spekulieren und alle noch verdienen, wenn sie mit dem Strom schwimmen, wächst die Verzerrung weiter. Interessant an diesem Phänomen ist: Selbst wenn alle Beteiligten sich aus ihrer Sicht ganz rational verhalten, ist das Ergebnis "verrückt".
Und genau dieser Punkt wird gerne übersehen. Adam Smith hat die segensreiche Wirkung "normaler" Märkte als "unsichtbare Hand" beschrieben. Und er hatte recht damit - anders, als die Kritiker der Marktwirtschaft vermuten. Die Finanzmärkte sind aber nicht normal: Hier gibt es neben der unsichtbaren Hand auch immer wieder das unsichtbare Monster, das die Dinge aus dem Ruder laufen lässt. Und wie gesagt: Anleger und Banker sind gierig und manchmal auch panisch oder verrückt. Aber selbst wenn sie ganz rational agieren, kann das Monster entstehen - es ergibt sich aus den labilen Eigenschaften des Systems.
In den letzten Jahren sind aber die Märkte international enger zusammengewachsen als je zuvor, außerdem sind sie auch untereinander durch eine Unzahl von Mechanismen miteinander verkoppelt. Wir haben heute daher die erste wirklich globale Finanzkrise. Darauf hat auch Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, hingewiesen.
In einem derart komplexen System herrscht letztlich derselbe Mechanismus von Boom und Zusammenbruch wie an einer einzelnen Börse, nur auf einer höheren Ebene. Die Märkte hängen voneinander ab, schaukeln sich langsam hoch, laufen immer besser - und dann kippt das Ganze an irgendeiner Stelle und zieht nach und nach alles mit. So war es bei dieser Finanzkrise: Es ging los mit einer durchaus überschaubaren Klasse von faulen Baudarlehen und zog über den Immobilien- und den Kreditmarkt alles mit, zuletzt erreichte es die Aktienbörse.
Daher ist das ganze System inhärent instabil. Und weil kaum jemand die Märkte und ihre Zusammenhänge durchschaut, wird das Monster, wenn es auf der Ebene des Gesamtsystems wächst, sogar noch später sichtbar als an einzelnen Teilmärkten. Dass es eine Immobilienblase in den USA und anderen Ländern gibt, war kein Geheimnis, aber wer durchschaute vor Ausbruch der Krise schon, dass dazu auch noch eine Kreditblase gewachsen war? Und wer hatte im Blick, wie diese Märkte alle zusammenhingen?
Verstärkt wird der Effekt, darauf hat Ackermann auch immer wieder hingewiesen, noch durch die Rahmenbedingungen. Die Bilanzierung nach Marktwerten führt dazu, dass es einen Rückkopplungseffekt gibt, der die Marktbewegungen noch verstärkt. Solange das nach oben lief, hat die Banker das nicht gestört - jetzt leiden sie darunter. Dazu kommen die Eigenkapitalvorschriften. Sie führen dazu, dass die Banken ausgerechnet in schlechten Zeiten, wo sie schwer an Kapital kommen, besonders viel davon brauchen - auch das verstärkt das Ungleichgewicht. Interessant dabei: Für sich besehen sind sowohl die Bilanzvorschriften als auch die Eigenkapitalregeln sehr vernünftig. Aber im Systemzusammenhang können sie fatal wirken. Auch hier zeigt sich: Was im Einzelnen rational ist, kann im Großen irrationale Folgen haben.
Hegel glaubte an die "List der Vernunft", daran, dass sich trotz der Unvernunft der einzelnen Menschen letztlich doch so etwas wie ein Sinn der Geschichte ergibt. Die Finanzmärkte lehren eher das Gegenteil: Selbst wenn alle Beteiligten rational handeln (was sie natürlich nicht tun), kann das Ergebnis ziemlicher Unsinn sein.
Was folgt daraus? Dass die Staaten und die Notenbank sehr gut auf die Finanzmärkte aufpassen müssen. Man wirft der US-Notenbank vor, sie habe mit ihrer großzügigen Geldpolitik den Boom genährt und damit letztlich auch die Krise herbeigeführt. Das ist nicht ganz falsch, aber vielleicht auch nicht hundertprozentig richtig. Sie hat die Märkte wahrscheinlich nicht aktiv aufgepumpt, aber eben auch nicht gegengesteuert, als das Monster sich allmählich aufbaute. Es kommt also zunächst darauf an, dass die Notenbanken vorausschauend agieren. Aber die Staaten müssen es auch, im Wesentlichen über die Finanzaufsicht. Das ist schwierig, weil im Rechtsstaat - zumal in einem deutschen Rechtsstaat - die Aufsicht ja nicht einfach nach Gutdünken eingreifen kann. Trotzdem muss genau in diesem Punkt der Staat noch aktiver und besser werden - mit Augenmaß, pragmatisch, aber letztlich auch ohne Tabus. Wichtig ist vor allem, dass die Politiker ihre Aufseher unterstützen und sich nicht als Lobbyisten der Bankbranche gegenüber den eigenen Behörden missbrauchen lassen.
Die Finanzaufsicht muss künftig auch Geschäftsmodelle überprüfen und frühzeitig einschreiten, wenn sie sich als zu riskant erweisen. Sie sollte komplexe Produkte anschauen und sich die Frage stellen, ob sie und wo sie Schaden anrichten können. Und bei fragwürdiger Bilanzakrobatik darf sie auch nicht erst einschreiten, wenn es zu spät ist.
Das alles verlangt nicht nur enorme politische Rückendeckung und eine ausreichende und kompetente Personalkapazität, sondern auch weitreichende Kompetenzen. Als Ordnungsrahmen schließlich braucht die Finanzbranche eine Mischung aus genauen Regeln, die auch in scheinbar sonnigen Zeiten nicht aufgeweicht werden dürfen, und allgemeinen Grundsätzen finanzieller Solidität, die auch ohne spezielle Regel angewandt werden dürfen, wenn es nötig ist. Also zum Beispiel klare Mindestregeln für das Kapital, aber auch den Grundsatz, dass neue Risiken zusätzlich unterlegt werden müssen. Diese Aufsicht muss skeptisch sein. Wenn es Vergütungssysteme gibt, die die Instabilität noch erhöhen - und die gibt es -, darf sie eben nicht zuschauen und sich einreden lassen, dass "der Markt" das schon regelt; das sehen inzwischen sogar die Banker selbst ein.
Auch gegenüber Aussagen, dass bestimmte Verfahren wie etwa Verbriefungen unbedingt notwendig seien, ist Misstrauen angebracht. Vielleicht sind sie nur für einzelne Institute notwendig, die darauf ihr Geschäftsmodell abgestellt haben. Die Alarmglocken müssen auch klingeln, wenn es heißt, wie früher bei Greenspan, eine bestimmte Art des Bankings sei wichtig, um das Wirtschaftswachstum anzuschieben. Wenn dieser Schub damit bezahlt wird, dass die Banken sich in immer höhere Verschuldungsgrade hinaufhebeln, dann werden sie das bei der nächsten Krise rückgängig machen müssen und die Wirtschaft in die Rezession treiben: Das erleben wir jetzt gerade.
Letztlich zeigt die Finanzkrise auch, dass nationale Bankbranchen nicht in allen Punkten nach dem liberalen Lehrbuch gestaltet sein sollten. Wenn es brenzlig wird, ist es schon sehr stabilisierend, wenn ein Teil des Bankensystems in staatlicher Hand ist. Deutschland hat mit seinem dreisäuligen Banksystem einen Haufen Probleme - zu niedrige Margen insgesamt und überflüssige Landesbanken mit schlechten Geschäftsmodellen. Aber wenn es ganz eng wird, ist es ein enormer Vorteil, dass es neben börsennotierten Konzernen auch noch Sparkassen und Genossenschaften gibt.

Letztlich hat der Staat die Aufgabe, sein nationales Finanzsystem zu stärken und zu schützen. In der Globalisierung, die gerade Deutschland sehr viel Wohlstand gebracht hat, sind auch die Krisen global. Daher ist es im Sinne der Stabilität, geschützte Bereiche zu schaffen, die ihr nicht mit voller Wucht ausgesetzt sind. Es geht nicht darum, "nationale Champions" zu schaffen. Aber die Finanzaufsicht sollte ein Auge darauf haben, dass die heimischen Banken stabil und nicht zu sehr von ausländischer Finanzierung abhängig sind, auch das lehrt die Krise. Selbst Kapitalverkehrskontrollen sind manchmal nützlich.
Ja, es ist schwer für den Staat, die Finanzmärkte im Gleichgewicht zu halten, es verlangt auch ein hohes Maß an juristischer, aber ökonomisch inspirierter Feinarbeit. Doch was wäre die Alternative? Wer sonst sollte es tun? Aus dem System selbst heraus kommen, wenn es zu weit in Schieflage geraten ist, keine Impulse zur Stabilisierung mehr, weil jeder nur noch seine Haut retten will. Das hat die Krise gezeigt.
Und warum schafft man die Finanzmärkte dann nicht einfach ab oder "demokratisiert" sie, wie jetzt gerne gefordert wird? Zunächst sind die Grenzen zwischen "normalen" Märkten und Finanzmärkten oft fließend, was die Probleme noch komplexer macht. Rohstoffe zum Beispiel können ganz schlicht zwischen Erzeugern und Verbrauchern gehandelt werden. Wenn aber Investoren den Markt entdecken, fließt immer mehr Kapital hinein, und er wandelt seinen Charakter. Es steht aber keinem Käufer ins Gesicht geschrieben, wozu er etwas kauft, zum Verbrauch oder zur Spekulation. Ähnliches kann auf dem Immobilienmarkt passieren, wenn Menschen Häuser nicht mehr nur kaufen, um darin zu wohnen, sondern, um sie später teurer wieder zu verkaufen. Wer will entscheiden, wo die Grenze zur Spekulation zu ziehen ist?
Hinzu kommt: Unser Wirtschaftssystem braucht nicht nur freie Warenmärkte, sondern auch einen funktionierenden Kapitalmarkt. Und der funktioniert immer nach der gefährlichen Logik der Finanzmärkte. Das historische Beispiel Jugoslawien hat gezeigt, dass eine Marktwirtschaft ohne Kapitalmarkt nicht läuft. Dort können keine neuen Unternehmen heranwachsen, das sagt auch schon die ökonomische Vernunft.
Vorschläge, Alternativen zu den Finanzmärkten zu schaffen, haben daher keine Substanz. Letztlich weiß keiner, wie das gehen soll. Aber auch die Idee, einen Begriff wie die "soziale Marktwirtschaft" gegen den Kapitalismus auszuspielen, ist leeres Gerede: Der Kapitalismus ist der ökonomische Kern jeder noch so sozialen Marktwirtschaft, wenn sie denn funktionieren soll.
Auf der anderen Seite gilt aber auch: Wer immer noch so tut, als sei der Kapitalismus ein prima System, das nur gerade mal aus Versehen abgestürzt ist, der hat auch nichts begriffen. Er ist das beste System, das wir haben, aber alles andere als problemlos oder ungefährlich.
Zuletzt noch ein Wort zu den Bankern. Viele von ihnen sehen sich jetzt als Teil eines Systems, das aus dem Gleichgewicht geraten ist - zu Recht. Aber zu viele ziehen daraus offenbar den Schluss, dass sie keinerlei Schuld an der Misere trifft - zu Unrecht. Man wird eben nicht nur schuldig, wenn man sich bewusst entscheidet, etwas Böses zu tun. Diese Sicht der Dinge ist zu kindlich. Anders gesagt: Die Finanzkrise hat durchaus eine moralische Dimension, auch wenn die Moral wahrscheinlich nicht der Punkt ist, an dem sie wirkungsvoll zu beeinflussen ist. Um es mit einem ganz drastischen Vergleich deutlich zu machen: Auch Kriege entstehen nicht, weil die Menschen plötzlich böse werden. Trotzdem kann keiner, der sie führt, die Schuld und die Verantwortung einfach abstreifen.
Manche der ganz abgebrühten Banker sehen auch diese Krise letztlich nur als Teil eines gigantischen Zyklus ihrer Branche, der immer wieder in den Boom und dann in die Krise führt und politische, moralische und regulatorische Zyklen im Schlepptau nach sich zieht. Diesmal ist die Krise etwas zu groß geraten, und der Zyklus kann eine Weile nur durch politischen Anschub weiterlaufen - aber irgendwann kommen auch wieder die goldenen Zeiten.
Das sind die Zyniker, sie haben sich daran gewöhnt, mit dem Monster zu leben. Vielleicht denken sie sogar realistisch, was zyklische Bewegungen angeht, aber unsere Sympathie verdienen sie nicht. Und jeder, der nicht zur Fraktion der Zyniker gehört, sollte daran mitarbeiten, dass der Zyklus beim nächsten Mal wieder harmloser ausfällt - auch wenn das in der Boomphase ein paar Renditepunkte kostet.

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