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„Das ist der Erdrutsch des Finanzsystems“

von Marietta Kurm-Engels
Der renommierte Notenbanker und ehemalige italienische Finanzminister, Tommaso Padoa-Schioppa, fordert einen globalen Ansatz zur Bekämpfung der "Systemkrise". Die politisch Verantwortlichen, so seine Kritik, hätten sich zu lange von den Interessen der Märke beeinflussen lassen.

Herr Padoa-Schioppa, überrascht Sie das Ausmaß dieser Finanzkrise?
Ja. Die Schwere dieser Krise geht weit über das hinaus, was viele sich hätten vorstellen können. Ich bin da keine Ausnahme, obwohl ich immer gesagt habe, das Finanzsystem sei nicht sicher. Denn es neigt aus sich heraus zur Instabilität, und die Maßnahmen, die zu seiner Stabilisierung ergriffen werden, passen nicht zu den Entwicklungen im Finanzsystem. Dass aber kein Finanzinstitut mehr vor dem Zusammenbruch des Vertrauens gefeit ist, das hätte ich nicht geglaubt.
Wird es gelingen, die Krise zu stoppen?
Krisen gehen per Definition irgendwann zu Ende. Die Frage ist, wie diese Krise beendet werden kann, ehe sie noch viel mehr Schaden anrichtet. Besonders in den letzten Wochen wird sie immer wieder mit der Krise von 1929 verglichen. Nicht ohne Grund, denn man muss schon weit zurückgehen, um etwas Vergleichbares zu finden. Die Finanzkrisen danach - von der Lateinamerikakrise über die Asienkrise bis hin zum Platzen der Technologieblase zu Beginn des Jahrzehnts - waren alle Krisen im System. Das heißt, sie haben im System keine Katastrophen ausgelöst.
Und wie ist das jetzt?
Was wir zurzeit erleben, ist nicht eine Krise im System, sondern eine Krise des Systems. Wie soll man es sonst bezeichnen, wenn in kürzester Zeit so viele Investmentbanken einfach ausradiert werden, wenn zwei britische Banken verstaatlicht werden, wenn die größte Bank in den Beneluxstaaten mit öffentlichen Geldern übernommen wird, wenn Deutschland und Irland den Sparern eine allgemeine Garantie zusagen und Großbritannien einen riesigen Krisenfonds auflegt. Das sind keine harmlosen Zwischenfälle. Das ist der Erdrutsch des globalen Finanzsystems.
Was muss jetzt unternommen werden?
Wir müssen versuchen zu verstehen, was da passiert. Es ist nicht der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft, die zusammenbricht. Die Situation ist auch nicht vergleichbar mit dem Ende der Zentralverwaltungswirtschaft Ende der achtziger Jahre. Was einstürzt, ist die Illusion, dass eine Marktwirtschaft ohne Regeln funktionieren kann. Es ist das Fehlurteil, dass die Finanzmärkte im Stande seien, sich selbst zu regulieren. Es gibt kaum ein Lehrbuch, das etwas auf sich hält, das dieses absurde Paradigma nicht predigt. Und es ist dieser Irrglaube, der jetzt diese verheerenden Konsequenzen hat.
Das klingt fast nach Revolution ...
Ja, und es geht eben nicht nur darum, die angebliche Unfehlbarkeit der Finanzmärkte zu korrigieren. Es gibt noch einen weiteren Irrglauben, der in dieser Krise zutage tritt und der bisher noch nicht einmal als solcher erkannt worden ist: Es ist der Irrglauben, dass die einzelnen Staaten unabhängig voneinander handeln könnten, die nationalen Instanzen also die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise selbst ergreifen könnten.
Aber die Regierungen stimmen sich im Moment doch laufend ab ...
Sie haben konferiert. Sie haben Informationen darüber ausgetauscht, was sie zu tun gedenken, und einander beteuert, alles im Griff zu haben. Dann haben sie völlig unkoordiniert die verschiedensten Garantien für ihre Einlagensicherungssysteme auf den Weg gebracht, die miteinander im Wettbewerb stehen, und sie verabreichen ihren Märkten die unterschiedlichsten Kapitalspritzen. Alles, was wir bisher gesehen haben, waren unkoordinierte Maßnahmen.
Was erwarten Sie denn?
Die Politiker müssen einsehen, dass die Vertrauenskrise sie mit einschließt und nicht zur zwischen den Banken und in deren Verhältnis zu ihren Kunden besteht. Der öffentliche Sektor hat die Krise durch unzureichende Kontrollen der Märkte mit verursacht. Die Politiker unterliegen einem großen Irrtum, wenn sie glauben, sie seien von dem allgemeinen Misstrauen nicht betroffen und könnten weiterhin länderspezifische Lösungen verfolgen. Das Vertrauen an den Märkten wird sich erst wieder einstellen, wenn die Staaten aufhören, auf Alleingängen zu bestehen.
Ist das nicht sehr pessimistisch?
Nein. Was sich im Finanzsystem momentan abspielt, ist vergleichbar mit einem Strudel im Meer. Man kann einen Strudel nicht in Teile zerlegen. Der Kollaps der Märkte ist global. Man kann die Antwort darauf nicht in Stücke zerteilen. Dass wir in Europa nur in der Geldpolitik mit einer Stimme sprechen und im Übrigen nicht imstande sind, einheitlich auf die Krise zu reagieren, ist ein großes Handicap. Die Amerikaner sind uns in dieser Hinsicht überlegen. Finanzminister Henry Paulsen und auch der US-Kongress haben politische Führung bewiesen.
Was wäre denn Ihre Vorstellung von einem effizienten, international koordinierten Krisenmanagement?
Ich erhebe nicht den Anspruch, ein Allheilmittel zu kennen, und ich möchte auch niemanden maßregeln. Ich weiß, wie schwierig momentan die Suche nach Lösungen ist. Aber es wird nicht ausreichen, die Einlagensicherung und die vorübergehende Zufuhr von Kapital ins Finanzsystem zu koordinieren. Koordination bedeutet, dass es immer noch unterschiedliche Akteure gibt. Wir brauchen aber mehr. Wir brauchen eine zentrale Stelle, die entscheidet. Wir brauchen eine einzige Entscheidung darüber, wie die Einlagen im Euro-Raum oder in Europa gesichert werden sollen. Und wir brauchen ein einziges Instrument für die Kapitalzufuhr.
Wer könnte diese zentrale Stelle sein?
Sie muss geschaffen werden.
Sollte sie bei der EZB angesiedelt werden oder unabhängig sein?
In Zeiten der Not ist alles möglich. Man muss sich nur auf eine Vorgehensweise verständigen. Bei Unstimmigkeiten zählt man die Köpfe und beschließt, was die Mehrheit will. Das muss dann überall umgesetzt werden.
Hat nicht auch der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen europäischen Kapitalfonds vorgeschlagen?
Nicht nur Sarkozy, auch der britische Premier Gordon Brown. Die Deutschen haben so etwas abgelehnt.
Wie müsste nach Ihrer Vorstellung ein solcher Fonds arbeiten?
Erstens wäre er zeitlich befristet. Er würde nach zwei oder drei Jahren wieder aufgelöst. Zweitens sollte er das erforderliche Kapital am Markt aufnehmen. Wenn es dafür eine staatliche Garantie gäbe, würden vermutlich viele Anleger, die zurzeit verunsichert sind, froh sein, Regierungsanleihen mit drei Jahren Laufzeit zu kaufen. Und die Lastenverteilung zwischen den Staaten, die wohl eine der großen Sorgen der Deutschen ist, könnte durch eine entsprechende Konstruktion des Fonds leicht gelöst werden.
Die großen Länder müssten also nicht für die Verluste der kleineren Länder einstehen?
Vermutlich müssten die größeren Länder einen höheren Anteil an der staatlichen Garantie übernehmen. Insoweit spielt die Größe der Staaten schon eine Rolle. Aber die Statuten des Fonds könnten festlegen, dass die Verluste letztendlich von den Ländern zu tragen seien, in denen sie anfielen. Der Zeitfaktor ist hier das Entscheidende: Abgerechnet wird erst dann, wenn die Krise überwunden ist.
Was passiert, wenn sich Europa nicht auf ein einheitliches Krisenmanagement einigt?
Ich befürchte erhebliche Schwierigkeiten für die großen grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen in Europa. Auf die größten 15 dieser Anbieter entfallen über 50 Prozent der Bankaktivitäten im Euro-Raum. Wie sollen diese Gruppen operieren, wenn das Krisenmanagement von Land zu Land unterschiedlich ist? Sie werden anfangen, Aktiva hin und her zu schieben. Diese Auswirkungen sind bisher überhaupt nicht bedacht worden. Die fragmentierte Antwort auf die Krise setzt in Europa die bisher erreichte Integration der Finanzmärkte aufs Spiel. Das ist eine extrem ernste Gefahr.
Wenn Sie die bisherigen Lehren aus dieser Krise auf den Punkt bringen würden, wie lauten sie?
Ich sehe zwei Lehren. Erstens: Die Finanzmärkte können nicht auf der Grundlage von Selbstregulierung funktionieren; sie sind von Natur aus instabil. Zweitens: Wenn eine Krise im internationalen Sinn systemisch ist, muss die Antwort darauf ebenfalls systemisch sein. Auch wenn die EU-Staaten jetzt ihre Programme zur Hilfe der Märkte besprechen - es bleiben nationale Antworten.
Wird es längerfristig Änderungen in Europa geben?
Ich denke, ja. Es gibt im Euro-Raum den Widerspruch, dass wir auf der einen Seite eine einheitliche Geld- und Währungspolitik und eine integrierte Bankenindustrie haben. Auf der anderen Seite haben wir ein nationales Aufsichtssystem und die nationale Zuständigkeit bei Interventionen in die Märkte mit Kapital. Die aktuelle Krise wird diese Situation nicht unverändert lassen.
Befürchten Sie neue Abhängigkeiten?
Richtig ist, dass sich die politisch Verantwortlichen zu lange von den Interessen der Märke haben beeinflussen lassen. Selbst die Zentralbanken, die oft die Regierungen maßregeln, tadeln nicht die Märkte. Wenn jetzt die Regierungen so heftig in die Märkte eingreifen, gibt es vielleicht den umgekehrten Fall: Die Regierungen wollen mehr Rechte. Leider folgt einem Exzess in die eine Richtung oft ein neuer in die andere.

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