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Das ewige Rätsel

Von Jens Tönnesmann

China, Land der Gegensätze: Nirgendwo sind sie sichtbarer als im Reich der Mitte. Warum sind Arme arm und Reiche reich? Eine einfache Frage - über die Antwort streiten Ökonomen seit Jahrzehnten.

DÜSSELDORF. Wolkenkratzer und Autobahnen an der Küste, Lehmhütten und Feldwege im Hinterland: In kaum einem Land sind die Gegensätze so sichtbar wie in China. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist zwischen 1990 und 2005 pro Jahr im Schnitt um fast neun Prozent gewachsen. Aber längst nicht bei allen Chinesen kommt der neue Wohlstand an: In der reichsten Provinz liegt das Pro-Kopf-Einkommen 13-mal so hoch wie in der ärmsten.
Zwar ist die wirtschaftliche Ungleichheit in den Industriestaaten nicht derartig krass wie in den Schwellenländern - ein heißes Thema aber ist sie auch hierzulande. Nicht nur an den Stammtischen, sondern auch in den Forschungsinstituten. Fast wöchentlich veröffentlichen Ökonomen neue Aufsätze. "Die Gründe für die Ungleichheit, ihre Veränderung, ihre ökonomischen Folgen und die Kosten und Nutzen von Maßnahmen, sie zu reduzieren - das alles beschäftigt Ökonomen sehr", sagt Michael Haliassos, Professor an der Uni Frankfurt, der mit sechs hochkarätigen internationalen Forschern zurzeit eine Vortragsreihe zum Thema "Ökonomische Ungleichheit und Gerechtigkeit" anbietet. Allerdings: In der Ungleichheitsforschung gibt es weit mehr Fragen als Antworten. Selbst die Messung des Phänomens bereitet Forschern ernsthafte Probleme. So kommen die Oxford-Ökonomen Sudhir Anand und Paul Segal, die die gesamte Forschung zu dem Thema ausgewertet haben, zu dem Schluss: Einigkeit herrscht nur darüber, dass das Ausmaß der globalen Ungleichheit immens ist. "Einen Konsens, in welche Richtung sich die Situation verändert, gibt es dagegen nicht", schreiben sie in der aktuellen Ausgabe des "Journals of Economic Literature".
Umstritten ist auch, ob Globalisierung zu mehr oder weniger Ungleichheit in der Welt führt. Theoretisch vergrößert der Welthandel den Kuchen, den es zu verteilen gilt. Das zeigte schon der Brite David Ricardo zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Alle Volkswirtschaften stellen sich besser, wenn sich jede auf die Güter spezialisiert, die sie besonders gut herstellen kann, und sie dann mit anderen Staaten handelt. Damit lieferte er eine wichtige Begründung für den Freihandel: Ohne die Ungleichheit von Staaten würde er weniger Vorteile bieten.
Jedoch profitieren vom Handel weder alle Länder gleichermaßen noch alle ihrer Bewohner. Das machten bereits 1941 Paul Samuelson und Wolfgang Stolper deutlich: Wenn sich Industrieländer auf Produkte spezialisieren, die von hochqualifizierten Arbeitern hergestellt werden können, sinken dort die Löhne der Geringqualifizierten. Umgekehrt kann der Welthandel gerade Geringqualifizierte in Entwicklungsländern besserstellen.
"Dank der Globalisierung kann Bangladesch heute Textilien in alle Welt verkaufen", erläutert Pranab Bardhan, Ungleichheitsforscher an der US-Uni Berkeley. So zeigt eine Studie von zwei Ökonomen des Internationalen Währungsfonds am Beispiel Indiens: Dort hat die Handelsliberalisierung seit Beginn der neunziger Jahre dazu beigetragen, die Einkommensungleichheit zu senken - weil unqualifizierte Arbeitnehmer in der Exportwirtschaft deutlich mehr verdienten.
Eine Kluft zwischen industriellem und traditionellem Sektor ist typisch für Entwicklungsländer. Das haben in den fünfziger Jahren die späteren Nobelpreisträger Arthur Lewis und Simon Kuznets festgestellt. Kuznets zufolge steigt die Ungleichheit mit beginnendem Wirtschaftswachstum zunächst, weil die Menschen in den boomenden Fabriken ein höheres Einkommen erzielen als diejenigen, die noch von der Landwirtschaft leben. Diese Ungleichheit ist aber nicht nur Ergebnis des Wachstums, sondern auch eine Voraussetzung dafür: Erst die Aussicht auf ein höheres Einkommen verleitet die Unternehmer zu Investitionen und motiviert die Menschen, in den vielen neuen Fabriken Arbeit aufzunehmen.
Die Weltbank ist daher der Auffassung, dass ein Teil der Ungleichheit in China durch "normale Transformationsprozesse zu erklären ist, die Entwicklungsländer durchlaufen". Gegen Ende dieser Prozesse steige auch das Einkommen der Armen - und die Ungleichheit beginne zu sinken.
Die Ungleichheit in entwickelten Ländern lässt sich so nicht erklären. Aber sowohl für die USA als auch für Deutschland zeigen viele Studien: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewachsen. Einige Forscher folgen der Argumentation von Stolper und Samuelson. Sie machen billige Importe aus Ländern wie China dafür verantwortlich, dass schlecht ausgebildete Amerikaner immer weniger Arbeit haben und schlechter verdienen, während die Einkommen der Fachkräfte in den Zukunftsbranchen steigen.
Wie fast jede These im Zusammenhang mit Ungleichheit ist auch diese umstritten: So kommt der Harvard-Ökonom Lawrence Katz zu dem Schluss, dass der Handel mit armen Ländern nur rund 15 Prozent der Ungleichheit in den USA erklären kann. Christian Broda und John Romalis von der University of Chicago stellen die These auf, dass arme US-Amerikaner von den billigeren Gütern aus dem Ausland sogar so sehr profitieren, dass das fast den gesamten Anstieg der Ungleichheit kompensiert.
Ein wichtiger Erklärungsfaktor scheint das unterschiedliche Bildungsniveau zu sein: Wer mehr Zeit und Geld in die eigene Ausbildung investiert, verdient hinterher mehr als Geringqualifizierte. Ein höheres Einkommen ist also zugleich Belohnung und Anreiz, sich zu bilden. Ökonomen wie Lawrence Katz sehen darin einen Hauptgrund für die gewachsene Ungleichheit in den USA. Folgt man dieser Logik, lässt sich Ungleichheit nicht verurteilen. "Ungleichheit ist ein ökonomisches Gut, das zu viel schlechte Presse bekommen hat", meint Finis Welch, Ökonom an der Texas A&M University.
Auch hier gibt es Widerspruch. So betont Oxford-Ökonom Atkinson: Das Bildungs-Argument könne kaum erklären, warum in den USA ausgerechnet die kleine Gruppe der Topverdiener immer schneller immer reicher wird. Die Topmanager der umsatzstärksten Firmen verdienen heute 367-mal so viel wie ein Durchschnittsamerikaner, rechnete Paul Krugman jüngst vor. Vor knapp 30 Jahren war es nur 40-mal mehr. Nicht nur mehr Bildung macht wohlhabend - noch reicher wird anscheinend vor allem, wer schon reich ist.
Wenn ungleiche Einkommen das Ergebnis unterschiedlich guter Bildung sind, so sollte jeder die gleichen Chancen haben, sich zu bilden, wendet Atkinson zudem ein. "Sind die Bildungschancen von vorneherein ungleich verteilt, ist das nicht nur ungerecht, sondern auch schlecht für das Wachstum."
Und es ist schlecht für die Zufriedenheit. Das hat Axel Dreher von der ETH Zürich festgestellt. Seine Studien zeigen: Menschen können Ungleichheit besser ertragen, wenn sie fair zustande gekommen ist - wenn also alle ähnlich gute Chancen haben, zu den Gewinnern zu gehören. "Stellen Sie sich ein Schiff vor. Solange alle Passagiere in der Holzklasse reisen, gibt es keine Ungleichheit. Wenn nun aber die eine Hälfte auf das Sonnendeck darf, ist die Ungleichheit extrem angestiegen, auch wenn niemand schlechter gestellt ist", erklärt Dreher. "Zum Problem wird diese Ungleichheit dann, wenn die Menschen in der Holzklasse merken, dass man nicht durch eigene Anstrengung aufs Sonnendeck kommt, sondern durch eine unfaire Auswahl." Sind die Prozeduren dagegen gerecht, kann die Ungleichheit der Einkommen sogar jene zufrieden machen, die weniger haben - weil der Reichtum der anderen die eigenen Zukunftschancen widerspiegelt. Anders gesagt: Schon die Aussicht, selbst eines Tages auf dem Sonnendeck reisen zu können, erhöht das Glücksgefühl in der Holzklasse.

Quelle: http://www.handelsblatt.com