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HANDELSBLATT, Dienstag, 13. Mai 2008, 11:22 Uhr
Handelsblatt-Interview

„Der Staat muss radikal eingreifen“

Von Torsten Riecke

Der renommierte US-Ökonom Nouriel Roubini sieht die Folgen der Finanzkrise lange noch nicht bewältigt. Im Handelsblatt-Interview sagt er eine schwere Rezession in Amerika voraus, die auch Deutschland und den Rest der Welt in Mitleidenschaft ziehen wird. Zugleich geht Roubini hart ins Gericht mit dem Krisenmanagement der Notenbanken und fordert die Regierung zum Handeln auf.

Herr Roubini, befindet sich die amerikanische Wirtschaft bereits in einer Rezession?
Ja, wir befinden uns seit Dezember oder Januar in einer Rezession. Die Diskussion dreht sich jetzt darum, ob wir eine harte oder eine weiche Konjunkturlandung erleben werden.
Was glauben Sie?
Ich denke, dass die Rezession mindestens vier Quartale dauern wird. Vielleicht sogar bis zur Mitte nächsten Jahres. Im Vergleich zu dem sehr milden Abschwung im Jahr 2001 schätze ich die wirtschaftliche Lage heute als wesentlich schlechter ein.
Was macht diesen Abschwung so gefährlich?
Es sind drei Faktoren: die Krise auf dem Immobilienmarkt, die Konsumschwäche und die prekäre Lage des Finanzsystems. Aus diesen Gründen wird die Flaute diesmal härter werden und länger anhalten.
Ist auf dem Häusermarkt noch keine Entspannung in Sicht?
Nein, wir befinden uns mitten in der größten Immobilienkrise seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre. Und die Lage verbessert sich nicht, sondern wird noch schlimmer. Ich rechne damit, dass die Hauspreise insgesamt um 30 Prozent fallen werden. Das wird das Vermögen vieler US-Haushalte auslöschen und sie in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Spüren werden das auch die Banken, wenn die Kreditausfälle zunehmen.
Die Finanzkrise ist also noch nicht vorüber?
Nein, es handelt sich nicht mehr nur um ein Subprime-Problem. Die Krise hat sich längst auf Hypotheken mit besserer Bonität ausgeweitet und greift jetzt auch auf Kreditkarten, klassische Konsumentenkredite, Autofinanzierungen und Firmendarlehen über.
Welchen Verlauf wird der Abschwung haben?
Die Mehrheit der Ökonomen glaubt an einen V-förmigen Verlauf – also eine relativ kurze Rezession, gefolgt von einem schnellen Aufschwung. Ich sehe dagegen eher einen U-förmigen Verlauf mit einer langen Talsohle voraus.
Aber wird nicht das Konjunkturprogramm der US-Regierung die Wirtschaft wieder beleben?
Allenfalls wird es in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Erholung geben. Danach werden wir jedoch wieder in eine Rezession zurückfallen.
Gibt es historische Vorbilder für die heutige Wirtschaftskrise in den USA – etwa die Depression in Japan während der 90er-Jahre?
Nein, die Situation ist mit der lang anhaltenden Stagnation in Japan nicht vergleichbar. In Japan wurden viele wirtschaftspolitische Fehler begangen. Hier hat die Notenbank dagegen aggressiv gegengesteuert. Dennoch rechne ich mit einer der schwersten Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte.
Woher könnte die konjunkturelle Wende kommen?
Im Moment sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels. Sowohl auf den Finanzmärkten als auch in der realen Wirtschaft wird sich die Lage zunächst noch weiter zuspitzen. Viele sagen zwar, das Schlimmste sei überstanden. Davon bin ich jedoch nicht überzeugt.
Warum nicht? Es gibt doch auf den Kreditmärkten deutliche Zeichen der Entspannung.
Die Krise verläuft in Phasen. Wir hatten zunächst die massive Kreditklemme, ausgelöst von den Subprime-Problemen. Dadurch wurde auch die reale Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Jetzt sind wir in einer Rezession, und die wird wiederum auf den Finanzsektor durchschlagen. Die Zahl der Pleiten wird zunehmen und eine neue Welle von Abschreibungen bei den Banken auslösen. Die Finanzinstitute haben den Boden noch nicht erreicht. Sie werden sich nochmals neues Kapital beschaffen müssen.
Was kann diesen Teufelskreislauf durchbrechen?
Die eingeleiteten fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen werden einen begrenzten, aber doch spürbaren Effekt haben. Möglicherweise wird es sogar ein zweites Konjunkturprogramm geben. Am Ende kommt die Regierung aber nicht darum herum, einen Großteil der notleidenden Hypotheken aufzukaufen. Wenn man den Wertverfall mit einem staatlichen Boden bremst, kann vermutlich die wirtschaftliche Erholung beginnen. Dazu brauchen wir aber eine radikale Intervention des Staates.
Wie beurteilen Sie das bisherige Krisenmanagement von Notenbank und Regierung?
Es ist richtig, dass der frühere Fed-Chef Alan Greenspan die Immobilienblase dadurch verursacht hat, dass er die Leitzinsen zu lange zu niedrig gehalten hat. Außerdem hat die Fed ihre Finanzaufsicht für Hypotheken nicht ausreichend wahrgenommen. Sein Nachfolger Bernanke hat die Krise zunächst völlig falsch eingeschätzt. Noch vor einem Jahr hat er behauptet, der Immobilienmarkt habe bereits seine Talsohle erreicht und die Subprime-Probleme würden nur eine Nische betreffen und sich nicht auf den Rest der Wirtschaft ausbreiten. Das war alles Blödsinn. Seit dem vergangenen Sommer hat die Fed jedoch den Ernst der Lage erkannt und aggressiv Liquidität ins Finanzsystem gepumpt.
War das die richtige Medizin?
Heute wissen wir, dass die Werkzeuge der Fed nicht sehr effektiv waren. Die Risikozuschläge auf dem Interbankenmarkt sind immer noch sehr hoch, weil das Misstrauen nicht gewichen ist. Auch in der realen Wirtschaft wirkt die Geldpolitik nicht wie gewohnt, da wir es nicht nur auf dem Häusermarkt, sondern auch bei langlebigen Konsumgütern mit einem Überangebot zu tun haben, das sich mit niedrigen Zinsen nicht beseitigen lässt.
Wie sollten die Aufsichtsbehörden auf die Finanzkrise reagieren?
In den vergangenen Jahren haben wir zu stark auf Selbstregulierung und Marktdisziplin gesetzt. Wir brauchen jetzt klare Regeln, die im Sinne einer direkten Regulierung auch durchgesetzt werden müssen. Eine verstärkte Finanzaufsicht ist deshalb unumgänglich.
Besteht die Gefahr, dass eine Überregulierung das Wachstumspotenzial der Wirtschaft mindert?
Man muss vermeiden, dass neue Regeln wichtige Finanzinnovationen und damit eine effiziente Allokation von Ersparnissen und Investitionsmitteln verhindern. Davon sind wir jedoch noch weit entfernt.
Wird die Rezession in den USA den Rest der Welt mit in den Abgrund reißen?
Ich glaube nicht an die Abkopplung anderer Wirtschaftsräume von den USA. Wenn wir hier eine schwere Rezession erleben, werden das auch andere Teile der Welt über die Kanäle des Handels, der Währungen und der Finanzmärkte zu spüren bekommen.
Wie stark ist Europa betroffen?
In Großbritannien, Irland und Spanien muss man aufgrund der dortigen Immobilienkrisen ebenfalls mit einer Rezession rechnen. Außerdem sind viele europäische Firmen als Kreditnehmer direkt von der Kreditklemme betroffen. Die Konjunktur in Deutschland wird wesentlich vom Export und nicht von der Binnennachfrage getragen. Ein Abschwung in Amerika wird deshalb auch die deutsche Wirtschaft treffen, zumal die Exportunternehmen durch den starken Euro noch zusätzlich belastet werden. Ich rechne deshalb mit einem deutlichen Abschwung auch in Deutschland.
Wie soll die Europäische Zentralbank darauf reagieren?
Ich glaube, es ist ein Fehler, auf Zinssenkungen zu verzichten. Die Wachstumsrisiken für Europa sind wesentlich größer als die Inflationsgefahren.
Wo sehen Sie die richtige Balance zwischen Wachstumsförderung und Sicherung der Preisstabilität?
Man muss zwischen den verschiedenen Regionen der Welt unterscheiden. In den USA ist die Inflation sicher das geringste Problem. Durch eine Rezession wird der Preisdruck noch weiter abnehmen. Ich rechne damit, dass die Rohstoffpreise um mindestens 20 Prozent fallen werden. Hier gibt es ganz klar eine Spekulationsblase. In Europa wird man sich noch wundern, wie stark das Wachstum zurückgeht. Das wird dann auch die Inflationssorgen mindern. In Japan rechne ich mit einer Rezession. Das wir die Inflationsrate wieder ins Minus drücken.
Stellt der Dollarverfall eine größere Gefahr für die Weltwirtschaft dar?
Es gibt Anzeichen dafür, dass sich der Dollar seiner Talsohle nähert. Leute sagen heute schon, dass man mit Euro in New York billiger einkaufen kann als in Bangkok. Der Euro ist also deutlich überbewertet. Ab Mitte des Jahres rechne ich außerdem damit, dass der Abschwung in Europa und die Erwartung auf Zinssenkungen durch die EZB den Euro schwächen werden. Der Dollar kann zwar noch für eine Weile auf 1,60 zum Euro absacken. Wenn die Konjunktur in Europa jedoch nachlässt, wird er sich auf 1,50 Dollar zum Euro einpendeln. Der gleiche Trend trifft auf den Yen zu.
Muss sich die Welt nach den Präsidentschaftswahlen im November auf einen neuen Protektionismus im Weißen Haus gefasst machen?
Ich glaube nicht, dass Hillary Clinton oder Barack Obama Amerika abschotten wollen. Es wird aber sehr wohl darum gehen, die Globalisierung verträglicher zu machen, so dass möglichst viele Menschen die Früchte des Freihandels ernten können.

Quelle: http://www.handelsblatt.com