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„Goldbarren gehen weg wie nichts“

von Marc Neller
Auch wenn der Goldpreis in den vergangenen Tagen deutlich zurückging: Während der Finanzkrise sind die Deutschen verrückt nach Gold als vermeindlich sicherer Hafen. Hans-Guenter Ritter liefert es. Seine Sparte im Heraeus-Konzern müsste ein Krisengewinner sein. Doch sein Beispiel zeigt, dass derzeit alles komplizierter ist: Boom und Flaute können sehr nahe beieinander liegen.

HANAU. Er weiß nicht, wo er all die Ware herbekommen soll, die die Leute überall im Land plötzlich von ihm wollen. Er ist froh, dass er in derzeit überhaupt etwas ausliefern kann. Heute oder morgen, das muss er offenlassen, aus Sicherheitsgründen, denn Ritters Ware ist kostbar.
„Sagen wir: bald“, sagt Ritter, und die Anzeichen sagen: sehr bald. Während er in seinem Büro sitzt, in einem der vielen Gebäude auf dem weitläufigen Firmengelände, stimmen sich in einem Besprechungsraum nebenan drei seiner Leute ab, wie sie die Abwicklung am schnellsten hinbekommen. Die zwölf Mitarbeiter des Logistikzentrums im Erdgeschoss sind bereit. Durchzählen, wiegen, Gehalt prüfen, portionieren, ausliefern. Das alles muss schnell gehen, sehr schnell. Wenn der Stoff reinkommt, die Pakete mit der glänzenden Ware, das Gold.
Hans-Guenter Ritter hat die Ausläufer des Rasens und Bebens in den vergangenen Tagen und Wochen deutlich gespürt, bis hierher in sein karges Büro mit kahlen weißen Wänden, Arbeitstisch, Besprechungstisch sind sie vorgedrungen. Die Finanzkrise hat Ritter, einen Mann von 49 Jahren mit schmalem Gesicht und hoher Stirn, zu einem Seismografen deutscher Befindlichkeit gemacht. Seit die Krise Deutschland erreicht hat, sind die Menschen verrückt nach Gold. Es scheint, als wäre es ihr einziges Betäubungsmittel gegen die Angst, ihr Geld zu verlieren. Und nun ist das Mittel ausverkauft, und die Händler, auch die Beschaffer der Banken, warten darauf, dass Ritter sie mit Nachschub versorgt.
Ritter ist der Chef des Edelmetallhandels bei Heraeus, einem der führenden deutschen Händler und Hersteller, Sitz in Hanau, einem Zentrum des Edelmetallhandels in Deutschland. Nur ein paar Autominuten entfernt liegt das Firmengelände der Konkurrenz von Umicore.
Die Welt um Ritter herum spielt verrückt, Ritter aber bleibt ruhig. Er ist nicht der Typ für die großen Aufgeregtheiten, außerdem ist er schon eine Weile im Geschäft, er kennt dessen Logik. Es gibt eine Krise, die Leute kaufen Gold, das Gold für den Hausgebrauch wird knapp. „Der Hinweis auf Knappheit“, sagt Ritter ungerührt, „erzeugt Knappheit.“ Und was knapp ist, hat seinen Preis.
Es könnte alles so einfach sein für Ritter. Wenn nicht Dinge, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, auf komplizierte Weise zusammenhingen, wenn Ritter nur mit Gold handeln und nicht zum Beispiel auch Autohersteller beliefern würde. So aber ist Ritter in einer eigenartigen Situation. Er gewinnt, aber gleichzeitig verliert er. Das Goldfieber der Deutschen ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Wirklichkeit, nur ein Teil seines Geschäfts, wenn auch derzeit ein größerer als sonst. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass es mit eindeutigen Wahrheiten, mit Sicherheit und Unsicherheit in dieser Krise so eine Sache ist.
Die Märkte spielen verrückt, an den Börsen steigen die Kurse, und noch am gleichen Tag können sie wieder fallen. Das alles passiert in einem Tempo, das Ritter noch nie erlebt hat, und er muss damit klarkommen und damit, dass Wenn und Aber großen Einfluss auf seine Geschäfte haben, viel größeren, als ihm lieb sein kann. Dass es einen Goldboom gibt, aber auch einen Schaden, der am Ende vielleicht schwerer wiegt. Dass nicht alles, was Gold ist, glänzt. Nicht einmal jetzt.
Ritter hat ein paar Diagramme vor sich auf seinem Tisch liegen, Preiskurven, die steil ansteigen. Gerade erst konnte er zusehen, wie der Goldpreis an den Börsen kletterte und kletterte und Anfang Oktober nicht mehr weit entfernt war von jenen 1 030 Dollar für die Feinunze, der irrwitzigen Höchstmarke aus dem März dieses Jahres. Nur eine Glaswand trennt Ritters Büro von der Kommandobrücke, wo in Sekundenschnelle die wichtigen Informationen einlaufen: ein langer, schmaler Tisch, in der Mitte gut zwei Dutzend Computermonitore, an beiden Seiten des Tischs sitzen seine Mitarbeiter, um die Märkte zu verfolgen. Goldpreis, Ölpreis, Dollarkurs, wie steht der Yen, wie das Pfund, wie entwickeln sich die Zinsen?
Und Goldbarren gehen weg wie nichts. Ritter liefert viermal mehr aus als sonst. „Und das ist nur, was wir liefern können. Was wir verkaufen würden, wenn wir alle Bestellungen annehmen könnten, ist noch eine ganz andere Sache.“ Die Frage, welche Mengen es zuletzt waren und was sein Unternehmen daran verdient hat, übergeht er mit diskretem Schweigen. „In dieser Hinsicht erleben wir eines der besten Jahre. Da müssen wir nicht lange drumherum reden“, sagt er nur.
In einer mausgrauen Werkhalle gleich neben dem Logistikzentrum macht ein hagerer Mann in grauem Zweiteiler und Stahlkappenschuhen die Runde. Reiner Dollansky ist zuständig dafür, dass die Produktion reibungslos funktioniert. Hinter ihm stehen Männer in blauen Arbeitsanzügen mit großen verdunkelten Schutzbrillen wie vor einer weißglühenden Sonnenfinsternis. Der Stoff, den sie erhitzen, um ihn zu Barren zu schmelzen, würde in Sekundenbruchteilen ihre Augen verblitzen.
„Iridium, über 2 000 Grad Schmelzpunkt“, sagt Dollansky. Sie könnten hier Gold schmelzen, die Kapazität wäre da. „Wir haben unsere Produktionen so angelegt, dass wir sie von einem auf den anderen Tag umstellen können.“ Es gab Zeiten, da brachten die Banken Goldmünzen in großen Mengen zum Einschmelzen. „Jetzt kommen keine mehr“, sagt Dollansky mit der Trockenheit eines Mannes, der Abläufe kontrolliert. Die 40 Arbeiter schmelzen hier derzeit Platinlegierungen für Industriekunden. Mit denen machen sie hier das eigentliche Geschäft. Sie sind, was Dollansky an seinem Job fasziniert. Der geheimnisvolle chemische Kosmos, diese Verbindungen, die immer besser werden, die immer mehr können, oft so viel mehr als Gold. Platinum-Rhodium, Platinum-Iridium, säurebeständig, hitzefest „locker bis 1 400 oder 1 500 Grad, da wäre Gold längst flüssig“. Die Kunden sind Katalysatorenhersteller, die IT-Branche, Labors, die Glasindustrie.
„Die Industrie hat ganz eindeutig Priorität“, sagt Dollansky. Die Industrie ist der wichtigere Kunde.
Das ist der Grund, warum Hans-Guenter Ritter, Dollanskys Chef, mit einem zwiespältigen Gefühl darauf wartet, wie die Werte, die die Mitarbeiter im Handelsraum hinter der Glasfront seines Büros zusammentragen, an diesem Tag wohl wieder aussehen. Die Kurse für Gold und Edelmetalle, Ölkurs, Dollarkurs. Und die Entwicklung in der Autoindustrie, auf die achtet er jetzt ganz besonders.
Kriegt er Nachschub für die Produktion? Wie entwickelt sich die Nachfrage? Sind Kunden, vielleicht auch noch wichtige, in Schwierigkeiten? Werden sie es bleiben? Das sind Fragen, die Ritter umtreiben. Er hat es „mit einer nie dagewesenen Volatilität zu tun“. Was bis heute lief, kann schon bald ein Problem sein, das erlebt er gerade.

Im vergangenen Jahr hat Heraeus gut verdient, 8,2 Prozent mehr Umsatz als im Jahr zuvor. Und Ritters Sparte, eine von fünf innerhalb des Konzerns, hatte einigen Anteil daran. Die Preise für Edelmetalle stiegen, es gab starke Schwankungen, beides hat ihnen in die Hände gespielt. Die Autobauer, die europäischen vor allem, aber auch die aus den USA und Asien, haben gut eingekauft. Sie brauchen zum Beispiel für ihre Dieselantriebstechnik rund 100 Tonnen Platin im Jahr. Sie sind der wichtigste Abnehmer. Die Schmuckindustrie war auch gut fürs Geschäft, der zweitwichtigste Umsatzbringer. Und Finanzinvestoren haben in Gold investiert, auch sie haben dazu beigetragen, dass der Preis fürs Gold rasant stieg. Das alles ist im Geschäftsbericht nachzulesen.
Doch jetzt erreichen Ritter in seinem Büro Meldungen, die ihm das Leben nicht gerade erleichtern. Der Goldpreis ist sehr gestiegen, aber es ist nicht mehr nur gut.
Die Schmuckhändler kaufen weniger Gold, es ist ihnen zu teuer. „Da fehlt bei hohen Preisen ein großer Nachfrager“, sagt Ritter. Die weltweite Schmuckindustrie nimmt sonst 70 bis 80 Prozent des Goldes ab. Es passt nicht zusammen, wenn beim Juwelier die Uhren und Colliers plötzlich mehr kosten, während die Menschen nicht wissen, was noch auf sie zukommt.
Die Autobauer? Drosseln die Produktion. Sie müssen mitansehen, wie ihre Heimatmärkte kollabieren. Opel schickte seine Arbeiter in Bochum und Eisenach in mehrwöchige Zwangsferien. Auch Ford, BMW und Mercedes-Benz haben Probleme. Und sie fürchten um die Zukunft ihrer Zulieferer. Sollte einer ausfallen, könnte das reichen, um ihre Produktion zum Erliegen zu bringen. Bosch, der wichtigste Lieferant, sagt für 2009 ein schwieriges Jahr voraus.
Die Finanzinvestoren? Haben Gold abgestoßen, entweder haben sie viel Geld verloren und wollen nicht noch mehr verlieren, oder sie brauchen Geld – oder beides.
Und plötzlich, sagt Ritter, ist auch der Dollar sehr fest. Erstaunlich, wie er findet. „Ich muss Ihnen nicht sagen, dass in den USA alles angefangen hat.“
Es ist nicht leicht, den Überblick zu behalten. Die Welt der Wirtschaft rast, scheinbare Gewissheiten lösen sich auf, Politiker sprechen über Rettungspakte für Banken und fantastische Summen. Es ist die Zeit, sich an Sicherheiten zu halten, die als unumstößlich gelten. Gold ist beständig, Gold ist Sicherheit, das ist das Versprechen, das für die Menschen plötzlich wieder zählt. Also sind die Barren rar. Dabei ist es nicht so, dass es mit einem Mal kein Gold mehr gibt. Das sagt Ritter, und das sagen sie auch bei der Konkurrenz. Es liegt nur an den falschen Orten und in der falschen Form. In den Scheideanstalten, in Form oder Granulat. Oder in den Tresoren von Londoner Banken, dort lagern Barren, vier Unzen schwer, Mindestreinheit 99,5 Prozent Gold.
Die helfen ihm nichts, sagt Ritter. Er braucht kleinere Barren und eine Mindestreinheit von 99,9 Prozent. Die verkaufen sich. So gut, dass Pro Aurum, einer der größten deutschen Goldhändler, zwischenzeitlich seinen Versand schließen musste, weil seine Mitarbeiter trotz Doppelschichten mit dem Verpacken und Verschicken nicht hinterherkamen. Und die Lieferanten nicht mit dem Gießen und Prägen.
Wäre Ritter nicht so lange dabei, er könnte sich wundern. Jahrelang hat seine Branche sich anhören müssen, wie blass doch der Glanz des Goldes inzwischen sei. Und bis eben noch galt es in den Bankentürmen der westlichen Finanzzentren als etwas für Nostalgiker, das nur in Kellern, Wandsafes oder Bankschließfächern herumliegt. Totes Kapital für Gestrige, die immer noch auf den nächsten Krieg warten, um recht zu haben. Tot, weil es keine Zinsen bringt. 2 600 Tonnen werden jedes Jahr gefördert, Gold wird kaum verbraucht, es wird immer wieder eingeschmolzen und wiederverwertet, mehr als jedes andere Metall. Gold war für die Herren des Geldes einerseits kraftlos, aber andererseits doch eine diffuse Gefahr. Eine ideologische. Wer Gold kaufte, noch dazu in größeren Mengen, ging eine Wette gegen das Leitmotiv der Finanzwirtschaft, die Shareholder-Values, ein. Gold? Kein Risiko, keine Zinsen.
Jetzt ändert sich die Werteordnung. Die Frage ist, was für Ritter am Ende überwiegt. Der Nutzen? Oder der Schaden?
Ritter ist vorsichtig mit Prognosen. Das kommende Jahr werde zeigen, welche Spuren die Krise hinterlässt, für das Geschäft mit dem Gold und mit den anderen Edelmetallen. Vorerst registriert er heftige Wertschwankungen. Die Feinunze Gold hat einmal knapp über 250 Dollar gekostet, das war der Tiefpunkt. Dann, im März 2008: 1 030 Dollar, Mitte September: 736 Dollar, niedrigster Wert des Jahres. Und gerade erst war der Kurs wieder auf dem Weg in rekordverdächtige Höhen: 930 Dollar. So sah es morgens aus. Als Ritter freitagabends das Büro verließ, nicht mehr. Der Kurs war wieder abgestürzt, auf unter 900 Dollar. Vieles deutete darauf hin, dass sich auf einem beispiellosen Krisengipfel die Notenbankbankchefs und die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen auf Wege einigen, wie ein Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern sei. Milliardenschwere Rettungspakete sollte es geben, Staatsbeteiligungen an kapitalschwachen Banken.
Die wichtigen Entscheidungen fallen im Moment oft nachts oder an den Wochenenden. Am Morgen danach sprechen übermüdete Politiker in die Mikrofone, Patient gerettet, aber ihre maskenhaften Gesichter lassen erahnen, dass Rettung und Alptraum derzeit nur zwei verschiedene Wörter für ein Phänomen sind. Wie das so ist in Krisen.
Seit einigen Tagen fällt der Goldpreis wieder. Ritter sieht sich bestätigt, dass auf einen Sturm eine Ruhe folgt. Irgendwas zwischen 750 und 850 Dollar für die Feinunze hält er für vernünftig. Dennoch fällt es auch ihm schwer, ruhig zu bleiben, dem Goldexperten, der umso ruhiger wird, je hektischer in stürmischen Zeiten die Welt da draußen reagiert. Die deutschen Industrieunternehmen sind vergleichsweise gut abgesichert, sie hängen nicht von Kunden aus nur ein oder zwei Branchen ab. Auch dafür ist Ritters Konzern ein gutes Beispiel. Einerseits. Andererseits hat der Rettungsplan der Bundesregierung die Sorgen der Unternehmen nicht vertrieben. Niemand weiß, ob das, was bisher passiert ist, schon alles war.

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