StartseiteAllgemeinesBeständeAnlageformenAnalysenWissenswertesChartsHandelBlog

Wissenswertes:

Silber (Archiv)

Allgemeines über Edelmetalle

Papiergeldsystem

Erklärungsbegriffe

Krisenvorsorge

Allgemeines über Edelmetalle:

Nachrichten

Hersteller

Formen

Fachbegriffe

Aufbewahrung

Reinigung

Verhältnisse

Allgemein:

Startseite

News (RSS)

Link´s

Sitemap

Kontakt

Disclaimer

Verfasst von Ronald Gehrt am 21.03.2008 um 8:04 Uhr

Margin-Kaskaden - Chance für die Besonnenen?

Heute bleibt mein Sarkasmus mal in der Garage. Dafür möchte ich eine Galerie von Charts präsentieren, die dieser Tage wohl weitaus öfter aufgerufen werden als üblich. An den Rohstoffmärkten, egal ob bei Edel- und industriemetallen oder Agrarrohstoffen, purzeln die Kurse. Warum?

Als ich von nun schon fünf Jahren meinen Börsenkrimi "Margin" schrieb, war dessen Titel für manch einen siegessicheren Zocker am Futuresmarkt ein Grund, um schmerzhaft das Gesicht zu verziehen. Heute lernen viele die Bedeutung dieses Begriffes erneut kennen. Denn so genannte "Margin Calls" sind Hauptursache des rapiden Kurseinbruchs bei Commodities aller Art.

Wen die Götter verderben wollen ...

Ausgangspunkt allen Übels war die sich wie ein Lauffeuer ausbreitende "Erkenntnis", dass man sein Geld im Rohstoffbereich investieren müsse und sich so vor den abwärts weisenden Aktienmärkten in Sicherheit bringen und (!) selbstredend galoppierende Gewinne ohne Nachdenken und Arbeit erzielen würde ... während der Anleihemarkt mit seinen paar Prozent Rendite nur etwas für Weicheier und Warmduscher sei. Sie erinnern sich anhand des einen oder anderen Kommentars zu meinen Kolumnen, dass ich auf meinen Hinweis, dass vier Prozent risikolose Zinsen besser seien als das Risiko, in eine Fahnenstange hinein zu kaufen und so schnell mal mehr zu verlieren als am Aktienmarkt (vor dessen Risiken man ja geflohen ist), die eine oder andere wütende Gegenstimme nach sich zog.

Doch es hat sich - zum x-ten Mal - bestätigt: Fahnenstangen brechen. Immer. Aber es hat sich ebenfalls - zum x-ten Mal - bestätigt, dass sich immer zahllose Marktteilnehmer finden die glauben, diesmal sei alles anders ... ohne zu bemerken, dass genau diese Parole bei der letzten Fahnenstange ebenfalls ins Verderben führte. Aber: Wen die Götter verderben wollen, den machen sie blind. Und so passierte, was vor fünf Jahren zuerst mit den fanatischen Bullen und danach mit den fanatischen Bären geschah (nicht selten in Personalunion): Man lernt, was eine Margin bedeutet.


Wenn der Broker dreimal klingelt

Nicht wenige im Futuresgeschäft unerfahrene Anleger (und von denen tummelten sich nach dem "kaufen ... kaufen"-Geschrei der Rattenfänger im Commodity-Bereich viele) glauben, sie hätten mit dem Betrag, den sie beim Einstieg in eine Futures-Position hinterlegen müssen, diesen Future gekauft und bezahlt. Kein Gedanke könnte fataler sein. Denn diese so genannte Margin ist nichts anderes als eine Sicherheitsleistung, die schnell "aufgebraucht" sein kann. Wenn Sie z.B. beim Eingehen einer Long-Position 15% des tatsächlichen Kontraktwertes hinterlegen müssen - das variiert - und der Kurs des Future rutscht um mehr als 7,5% ab, müssen Sie diese Margin wieder auffüllen. Und wenn der Broker Ihnen einen solchen Margin Call sendet, können Sie nicht sagen, Sie zahlen nächste Woche. Das Geld hat sofort da zu sein - oder Ihre Position wird zwangsverkauft.

Und ob Privatanleger oder Hedge Funds - je intensiver eine Kursbewegung ist, desto mehr Akteure glauben sich in einem solch starken Trend sicher. Sie sehen keine Fahnenstange, denn eingelullt von den rapide steigenden Kursen sehen sie stur nach oben - und nicht nach unten. Was oft dazu führt, dass zusätzliche Reserven zur Befriedigung eines Margin Call fehlen. Und was eine böse Wirkung hat: Sie können in einem solchen Fall, wenn Zwangsliquidierungen den Markt überschwemmen, auf einmal nicht nur die gesamte Margin verloren haben, sondern danach auch noch eine kleine Rechnung über die darüber hinaus entstandenen Kursverluste bekommen. Man kann also durchaus mal mehr verlieren, als man eingesetzt zu haben glaubt.


Die Kaskade des Grauens

Nun werden die meisten Leser ungläubig einwenden, dass dies doch mehr als selten vorkommen könne, wofür gäbe es Stoppkurse. Ja. Das fragen sich diejenigen, die in einen Margin Call hineinlaufen und nicht zahlen können, auch. Aber erst danach. Sie müssen sich vorstellen dass es tatsächlich Akteure gibt, die so dermaßen fanatisch an eine Hausse "glauben", dass sie Stopps als unnötig ansehen. Und die Ereignisse dieser Woche deuten an, dass es sich hierbei nicht um einige vereinzelte Privatiers handelt, sondern um ein oder mehrere dicke Rohstoff- oder Hedge-Fonds.

Der Ablauf ist immer der selbe, egal, ob bei Aktien, Rohstoffen, Anleihen, Währungen: Am Anfang steht eine kurzzeitige Flaute an Käufen. Das führt dazu, dass ein paar Marktteilnehmer einfach mal ein paar Gewinne mitnehmen. In dem Moment aber, indem der Markt kurzfristig derart übersättigt ist, dass auch bei leicht niedrigeren Kursen noch keine ausreichenden Käufermengen mobilisiert werden können, werden erste meist größere Adressen unruhig und versuchen, weitere Positionen zu reduzieren. Und fängt einer an, kommen andere nach - es beginnt ein Rücksetzer. Ein völlig normaler, bis zu diesem Augenblick.

Aber je intensiver ein Trend ist, desto höhere Risiken gehen die Akteure ein. Das Gegenteil wäre klug, aber man sieht immer wieder, dass die Gier gerne die Vernunft außer Betrieb setzt. Zumal hier ja auch noch Angst geschürt wurde und Rohstoffe als letzter sicherer Hafen vor den Stürmen des Aktienmarkts und der Inflation angepriesen wurden, sodass nicht wenige zu egal welchem Kurs dort kauften ... in dem Glauben, nun seien sie in Sicherheit. Diese hohen Risiken können - müssen nicht, aber hier kam es so - dazu führen, dass eine normale Korrektur schärfer ausfällt und groß genug wird, um die Grenze für erste Margin Calls anzukratzen. Und dann?

Da in Fahnenstangen wie gesagt sehr oft alle Vorsicht fahren gelassen wird, kommt es zu ersten Zwangsverkäufen. Das kann der Markt oft nicht halten, denn wer damit rechnet, dass es nur noch nach oben geht, greift nicht bei fünf Prozent Rücksetzer beherzt zu ... sondern ist schlicht erschrocken und wartet ab, was da vor sich geht. Und das führt zu einem Kaskadeneffekt:

Die Zwangsverkäufe drücken die Kurse weiter, was dann auf einmal auch für diejenigen, die tiefer eingestiegen sind, zu Margin Calls führt ... es kommen weitere Zwangsverkäufe und so kann es weiter gehen. Immer schneller, immer tiefer, zusätzlich natürlich verstärkt durch normale Stop Loss-Verkäufe. Bietet sich durch dieses Waterloo der Sorglosen und Waghalsigen nun eine Chance für den besonnen Investor? Kann und sollte man nun die Hand aufhalten?

Eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten

Im Prinzip ja. Aber jetzt schon? Die Crux in dieser Situation ist: Dadurch, dass sich hier zuletzt auch Hedge Funds tummelten, die eigentlich mit Rohstoffen sonst nichts am Hut haben; dadurch, dass das Volumen immer riesiger wurde und nicht wenige Transaktionen auch OTC liefen, ist einfach nicht abzuschätzen, wie weit diese Kaskade der Verkäufe noch reicht. Grundsätzlich gilt zwar, dass solche Phasen zeitlich recht eng begrenzt sind, aber der Chart des Goldpreises (mit enthalten der Kursverlauf von Silber) zeigt, dass der Faktor Zeit alleine nicht genug aussagt:

Sie sehen im Chart, dass Gold von seinem Rekordhoch am Montag um 1.030 Dollar bis an die mittelfristige Aufwärtstrendlinie bei aktuell 905 Dollar zurückgefallen ist. Dort war heute das Tagestief. Es kann nicht überraschen, dass diese Trendlinie zunächst gehalten hat - immerhin waren das mehr als 12% Abschlag binnen dreier Handelstage. So betrachtet ist es klar, dass einige Akteure nun genau an dieser Trendlinie einsammeln. So soll es schließlich auch sein, denn der besonnene Anleger kauft immer in Korrekturen nahe am Trend und nicht bei neuen Höchstständen. Aber:

Es ist noch nicht abzusehen, ob die Zwangsverkäufe bereits über die Bühne sind. Wenn die Kurse heute nicht deutlicher ansteigen besteht - aufgrund des erneuten Minus, am Mittwoch schloss Gold ja noch klar über 940 Dollar - das Risiko weiterer Margin Calls, die ebenso nicht "gefillt" werden könnten. Das ist ein dickes Fragezeichen und macht den sofortigen Einstieg in jedem Fall relativ riskant. Zumal es bei anderen Commodities bereits zu viel höheren Verlusten gekommen ist:

Im Charthintergrund sahen Sie das üblicherweise klar schwankungsfreudigere Silber. Hier sind seit dem Hoch um 21,30 Dollar am Montag bis zum heutigen Tief knapp unter 17 Dollar ganze 20% "verdampft". Minus per 17 Uhr -5,6% - alleine heute. Wenn Sie das mal auf die Margins im Future übersetzen täte heute Abend eine Rallye Not, um weitere Margin Calls und so eine Fortsetzung des Kursrutsches zu verhindern.

Gleiches gilt für die anderen Mode-Edelmetalle Platin und Palladium. Bei Platin ist ca. die Hälfte der Fahnenstange seit Jahresbeginn in etwas mehr als zwei Wochen eingestampft worden, bei Palladium ist es sogar etwas mehr. Nach derart starken Abschlägen hängen eben diese potenziellen Margin Calls wie ein Damoklesschwert über dem Kurs. Zumal: Wenn zwangsliquidiert wird, passiert das nicht schön behutsam und marktgerecht. Dann heißt es raus damit, und zwar sofort und zu egal welchem Kurs. Die Rechnung bekommt der, dem das Geld ausging. Es erinnert irgendwie an Pokerspieler, die trotz vier Assen auf der Hand beim Erhöhen mangels genug Bargeld nicht mehr mitgehen können.



Einstiegschance oder nicht?

Dies sind die typischen Risiken von Hysterie-Rallyes, vor denen ich vor zwei Wochen gewarnt hatte. Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen ... aber momentan fällt es eben noch. Daher meine ich, dass ein Einstieg per sofort keine bedingungslos gute Idee sein muss. Wie gesagt: Die Margins und weitere Stop Loss-Verkäufe können diese nun losgetretene Kaskade noch weiter treiben. Kurzfristig agierende Akteure können daher noch mehrfach böse in die Falle gehen ... aber auf der Short-Seite ebenso. Denn nun ebenso blind den Kursrutsch nach unten verlängern zu wollen wie man es zuvor beim Kursanstieg tat, wird ebenfalls böse enden. Was kann man tun?

Grundsätzlich meine ich, ein auf jeden Fall brauchbares Einstiegsniveau wäre das jeweilige Level bevor diese Fahnenstangen entstanden, d.h. ungefähr das Kursniveau von Ende Dezember/Anfang Januar. Wenngleich die wirtschaftlich abwärts weisende Tendenz der vergangenen Monate den Anstieg der Nachfrage dämpfen dürfte, wird sie doch voraussichtlich per saldo weiter steigen, wenn auch langsamer. Eine wirkliche Trendwende nach unten würde ich daher - aus aktueller Sicht - nicht erwarten. Da aber nicht absehbar ist, ob diese Niveaus wirklich erreicht werden, könnte man gestaffelt vorgehen:

Man überlegt sich im Voraus genau, wie viel Kapital man investieren möchte (das Prinzip ist immer gültig, ob bei Weizen, Kupfer, Gold oder Öl) und wo die maximale Verlustgrenze liegen soll. Dann ließe sich nun eine erste Position etablieren. Geht es wieder nach oben, hat man wenig investiert, erzielt aber zumindest Gewinn. Geht die Kaskade nach unten weiter, greift man auf tieferem Niveau erneut zu. Dieses "verbilligen" ist grundsätzlich zwar fatal, in diesem Fall aber, wenn es kalkuliert abläuft und von vornherein eine Verlustgrenze besteht (die man dann aber auch einhalten sollte), ein gangbarer Weg. Dabei sollten Sie sich am Chart orientieren:

Bei Brent-Rohöl beispielsweise wäre die Trendlinie um 94 Dollar die Zone eines zweiten Versuchs. Fällt sie aber, sollte man komplett wieder glattstellen und den Einstieg erneut auf Höhe der nächsten Linie um 85 versuchen. Bei Gold ist es die aktuell umkämpfte Trendlinie um 905 Dollar. Fällt diese, wäre ein schnelles Abrutschen bis in den Bereich um 840 drin. Aber:

Es bleibt dabei immer der Unsicherheitsfaktor der Zwangsverkäufe. Diese halten sich nicht an charttechnischen Linien und die Kurse können sehr, sehr schnell fallen, wenn zuwenig Kaufinteresse vorliegt. Es bleibt daher dabei: Für erste, kleine Positionen als "Versuch" ist der Boden bereitet. Aber ein so richtiges "Wohlfühl-Kursniveau" läge tiefer.


Die Faktoren Dollar und Inflation

Allerdings hat dieses Massaker der Waghalsigen auch einen sehr positiven Aspekt: Der Inflationsdruck sinkt. Denn auch wichtige Agrarrohstoffe brechen nun weg. So ist Weizen binnen weniger Tage von 1.300 auf unter 1.000 Dollar gefallen, Mais von in der Spitze 578 Dollar auf 507 und so weiter. Für die weltweite Konjunktur bedeutet dieser Kurseinbruch also, dass der Felsen auf ihrer Brust nun ein wenig leichter wird. Dabei müssen wir indes im Hinterkopf behalten:

Gerade die Angst vor Inflation war es ja, welche die Anleger in die Rohstoffe getrieben hat. Fallen diese, geht auch der Inflationsdruck zurück ... und damit wird auch die Argumentation dieser Inflationsflucht wackeliger. Und:

Auch der Verfall des US-Dollars war ja ein Argument für immer schneller steigende Commoditiy-Preise. Und auch der Dollar hat in den vergangenen Tagen, nachdem Euro/Dollar kurzzeitig die wahnwitzige Zone von 1,59 erreicht hatte, zurückgesetzt. Dabei sei es dahingestellt, ob die fallenden Rohstoffe den Dollar stärkten oder der steigende Dollar die Verkäufe der Rohstoffe begünstigte. Das ist ebenso wenig argumentativ zu beweisen wie die Frage, ob zuerst Huhn oder Ei da waren. Fakt ist aber, dass man diese Währungsrelation ebenfalls mit beobachten sollte. Der Chart zeigt: Sollte der 20 Tage-GD um 1,53 fallen, wäre ein schneller Rücksetzer knapp unter 1,50 gut möglich, was den Druck auf die Rohstoffe aufrecht erhalten würde.

Fazit:

Sie sehen: Dieser heftige Rücksetzer war überfällig und zu erwarten. Wenngleich man, das hatte ich ja immer betont, bei Fahnenstangen nie absehen kann, auf welchem Kursniveau Schluss ist, ist doch deren Lebensdauer zeitlich immer sehr begrenzt. Aber auch die Reichweite des Absturzes ist nicht kalkulierbar, erst recht nicht unter dem Unsicherheitsfaktor der Margin Calls. Daher ist dieses deutlich ermäßigte Niveau schon mal erfreulich und für risikofreudige Anleger die Chance um erste, vorsichtige und kleine Positionen zu versuchen, aber allemal noch keine solide Plattform für breit angelegte Investments. Aber: Das kann schnell kommen, warten wir mal die kommenden Tage ab.

Herzliche Grüße und ein schönes Osterfest


© Ronald Gehrt
www.system22.de"